Der Teufel von New York
flatternd, probiert, wie schlimm es wehtut. Es waren ganz kleine Atemzüge.
Ich befreite sie von dem Seil und den eiskalten Kleidern. Als Erstes wickelte ich sie in meinen Mantel und dann in alle Kleidungsstücke, die ich in Thomas Underhills Kleiderschrank finden konnte. Sie warm zu bekommen, war das oberste Gebot, das war sogar noch wichtiger, als einen Arzt zu holen, und so trug ich sie nach unten in die Küche und machte ihr ein weiches Nest aus Decken vor dem gusseisernen Ofen.
In der gesamten Geschichte Nordamerikas ist niemals ein Feuer schneller entfacht worden.
Und seltsam, nachdem ich so lange auf Mercys Finger gehaucht hatte, bis sie so weiß waren wie ihre Klaviertasten und nicht mehr so blau wie ihre Tapete, war ich schon fast bereit, ReverendUnderhill zu verzeihen. Allerdings nur diese Tat. Nicht die toten Kinder und auch nicht die Briefe. Aber ich wusste, dass er Mercy liebte. Er liebte Mercy wie ein Mann, der sonst keine Familie mehr hat.
Und dann dachte ich, dass es wohl die schlimmste Hölle sein muss, wenn man der Person, die man liebt, wehtut, nur, weil man nicht ganz normal im Kopf ist. Wie furchtbar war es für mich, als ich Eliza Rafferty in einen feuchten Kerker zu den Ratten sperren musste, vor denen es ihr so graute. Sie hatte keine Entschuldigung, und ich hatte keine Alternative. Und dennoch.
Ich habe selbst verrückte Sachen getan. Dumme Sachen. Zwar nie ganz so verrückte und nie ganz so dumme, aber nicht, weil ich’s nicht versucht hätte.
Als Mercy allmählich wieder zu sich kam, sah sie sich um, als sei ich das Einzige, was sie wiedererkannte. Ich hielt sie fest im Arm, hatte den Rücken an die Wand gelehnt und wartete. Als sie aufwachte, als ihre Augen hin und her gingen und ihre Lippen wieder einen Hauch weniger kalkweiß waren, zog ich sie ein wenig näher an mich. Ich konnte nicht anders.
»Du warst gar nicht krank, nicht wahr?«, fragte ich sanft.
Mercys Lippen formten ein Nein .
»Ist dir jetzt kalt?«
Sie schloss ihre Augen und schüttelte ihren dunklen Schopf. Ihr Haar und ihre Schläfe berührten leicht meinen Oberarm. Sekunden später murmelte sie: »Er ist wahnsinnig geworden. Er dachte, ich sei krank. Das war ich aber nicht, Timothy. Das war ich nicht. Ich habe doch gar kein Fieber.«
»Ich weiß«, flüsterte ich in ihr Haar. »Und es tut mir leid, Liebste. Es tut mir unendlich leid.«
Vielleicht war es nicht recht, Mercy so heftig schluchzen zu lassen, ohne auch nur zu versuchen, sie in ihrem fragilen Zustand zu beruhigen. Aber ich halte Frauen nicht unbedingt für übermäßig fragil, und ich finde auch nicht, dass Menschen immer ruhig sein müssen. Also sorgte ich nur dafür, dass sie es warm und einen Halt hatte, und ließ sie gewähren. Es wärmte sie auf. Vielleichtwar es das Beste, was sie tun konnte. Aus medizinischer Sicht. Mercy ist sehr klug, daher überraschte mich das nicht.
»Geht es meinem Vater gut?«, fragte sie schließlich.
»Ich glaube es eigentlich nicht.«
»Tim, ich war diejenige, die ihm von den vergrabenen Leichen erzählt hat. Ich dachte, er hätte vielleicht etwas Nützliches gehört, es ist ...«
»Sag es nicht«, befahl ich. »Wag es nicht, dich zu entschuldigen. Es ist die Schuld verschiedener Menschen, aber ganz sicher nicht deine.«
Nach einer Stunde des Schweigens und gelegentlichen Zitterns schlief sie ein. Sie war endlich ganz aufgewärmt, ihr Kopf ruhte an meiner Schulter und ihre drei Paar Hosen lagen über meinen Knien. Sie war wunderschön. Auch die von der Kälte rissigen Lippen und die Blasen an ihren Händen.
Als ich ins Studierzimmer zurückging, um nach dem Reverend zu schauen, hatte keine der neuen Tatsachen für mich irgendetwas Überraschendes.
Ich habe Mercy nie gesagt, wie locker ich die Stricke gebunden hatte. Wie leicht ich es Thomas Underhill gemacht hatte, sich zu befreien.
Ich hatte es für Mercy getan. Daher gehört das nicht zu den Dingen, die ich ihr sagen kann. Dass ich den Reverend ein bisschen schneller in die Hölle geschickt habe, falls es eine gibt, damit sie ihn nicht in den Tombs besuchen musste.
Thomas Underhill hatte sich auf brutale Art erhängt, seine Wirbelsäule war glatt gebrochen, sein Gesicht violett angelaufen und geschwollen, und sein Hals war mindestens einen Zoll länger geworden.
Menschen, die aus wildem Hass und bitteren Erinnerungen heraus Kinder aufschlitzen, sollten schlimmer bestraft werden als mit einer selbstgebastelten Schlinge um den Hals. Sie sollten ihre Strafe
Weitere Kostenlose Bücher