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Der Teufel von New York

Der Teufel von New York

Titel: Der Teufel von New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lyndsay Faye
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öffentlichen Ärgernisses festgenommen, was nur deshalb eine kleine Herausforderung war, weil ich ihnen erklären musste: »Jawohl, Sie sind von Gesetzes wegen verpflichtet, mit mir zu kommen; nein, es schert mich nicht, ob das Ihrer hochverehrten Mutter das Herz bricht; nein, ich habe nicht die geringste Angst vor Ihnen; und ja, ich bin gewillt, Sie an den Ohren in die Tombs zu schleifen, sollte sich das als notwendig erweisen.« Schließlich hatte ich es mit zwei kleineren Körperverletzungen zu tun, es drehte sich um hochprozentigen Schnaps, müde Arbeiter und die Huren, die das Pech hatten, ihnen in die Quere zu kommen. In der Anthony Street sind die Häuser nichts als dunkle, wie von unsicherer Hand an den Himmel gezeichnete Kohlestriche und viel zu billig gebaut. Es sind hungrige Gebäude. Menschenfresser, die nur darauf aus sind, den nächsten Emigranten, der einen Fuß in das kaputte Stiegenhaus oder auf den verrotteten Boden setzt, zu verschlingen. Und natürlich sind sie bis zum Bersten vollgestopft mit Iren. An jenem Morgen, als ich gerade meine achte Runde drehte und die Sonne schon nicht mehr rosa, sondern gelb vom Himmel schien, hörte ich meinen Namen rufen.
    »Timothy Wilde! Mr. Wilde, ja, ist das denn die Möglichkeit!«
    Unter dem breitkrempigen Hut lief ein Zucken über mein Gesicht, und das sandte eine Welle des Schmerzes über den Rand meiner Stirn.
    »Reverend Underhill«, erwiderte ich den Gruß und ging auf ihn zu.
    »Dann sind Sie es tatsächlich. Verzeihen Sie, aber ... Ich weiß nicht recht, wie ich es sagen soll. Seit dem Feuer haben wir uns aus den Augen verloren.«
    Reverend Thomas Underhill ergriff meine Hand, sein waches und intelligentes Gesicht wirkte sonderbar blass. Reverend Underhill hat die gleichen zartblauen Augen wie Mercy. Dochsein Haar ist eher braun als schwarz, an den Schläfen leicht ergraut, und das Gesicht über der schlichten Pfarrertracht ist schmaler. Mrs. Olivia Underhill, eine englische Schönheit, ließ ihr Leben bei einer unserer Cholera-Epidemien, bei der sie die sterbenden Ausländer pflegte – sie hatte, ganz wie Mercy, weit auseinanderstehende Augen, und das gleiche Grübchen im Kinn. Sie war Reverend Underhills Augenstern gewesen. Nach ihrem Tod verlagerte er all seine Liebe und Hingabe auf die presbyterianische Kirchengemeinde in der Pine Street und auf Mercy, und ich hatte nichts auszusetzen an seiner Wahl. Er ist ein geschickter und fähiger Mann mit einer starken Ausstrahlung und ausdrucksvollen Händen. Aber an jenem Tag machte irgendetwas ihm große Angst. Er sah gealtert aus, wie verloren in einer aufgebrachten Menge, und zerrte an seiner blassgelben Weste, dabei war ihr Sitz tadellos.
    »Mir geht es gut«, schmetterte ich ihm munter entgegen. Ich fühlte mich wie ein Schauspieler, der auf die falsche Bühne gestolpert ist. »Und wie geht es ...«
    Ihrer Tochter , hätte ich früher gesagt, denn ich hatte ja stets den Wunsch, ihren Nachnamen zu ersetzen.
    »Miss Underhill?«, fragte ich.
    Wie ich das fertigbrachte, wird mir ewig ein Rätsel bleiben. Etwas in meiner Brust riss sich los und lief dickflüssig wie geschmolzenes Blei durch meine Adern.
    »Es geht ihr gut, Mr. Wilde. Ich habe gerade nach Hilfe Ausschau gehalten, als ich Sie sah. Würden Sie bitte mit mir kommen und ...« Er hielt inne, als sein Blick auf den matten Schimmer meines Kupfersterns fiel.
    »Mein Gott – dieses Abzeichen an Ihrer Brust. Sind Sie etwa Polizist?«
    »Ja, in der Tat.«
    »Oh, dem Himmel sei Dank, die Vorsehung hat Sie mir geschickt! Ich habe gerade einen armen Mann besucht, der um unsere barmherzige Hilfe gebeten hatte, und als ich herauskam, hörte ich woanders in dem Mietshaus ein Baby schreien. Ichklopfte mehrmals an die Tür, fand sie aber verschlossen. Dann stieß ich mit der Schulter fest dagegen, aber ...«
    »Babys schreien ziemlich oft«, bemerkte ich.
    Doch ich hatte ihn seit dem Tod seiner Frau nicht so von Schrecken erfüllt gesehen, kalter Schweiß perlte ihm an den Schläfen, also lief ich mit ihm los in die Anthony Street. Der Reverend zeigte auf ein altes Backsteingebäude, blieb aber nicht beim Eingang stehen, sondern bog in die Gasse zwischen dem fraglichen Wohnhaus und dem benachbarten Gebäude ein.
    Die vordere Mietskaserne war vier Stockwerke hoch, unzählige Wäscheleinen mit grauen Lumpen hingen quer über unseren Köpfen. Ein kleiner Junge, das sonnenverbrannte Gesicht verhärmt und leer, bewachte die Wäsche. Aber wir gingen weiter zum

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