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Der Teufel von New York

Der Teufel von New York

Titel: Der Teufel von New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lyndsay Faye
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aufgewacht. Das war möglicherweise ein Zeichen, aber ich habe es nicht bemerkt. Ich betrachtete nur denWolkenschleier vor meinem Fenster, der drückend auf der Stadt lag. Lange würde es nicht mehr dauern, bis der Sturm losbrach. Es war, als würde man ersticken.
    Unten legte ich einen Penny auf den sauberen Tresen und nahm mir ein Brötchen aus dem Korb mit den Waren vom Vortag. Mittel und Wege. Ich setzte mir den breitkrempigen Hut auf den Kopf, steckte das Brötchen in die Tasche und machte mich auf den Weg in die Tombs, wo mein langer Tagesdienst begann. In den ersten vierzehn Tagen schwirrte mir manchmal der Kopf, weil alles so faszinierend war, obwohl ich mich hütete, das zuzugeben. Aber ich kann es auch gleich frei heraus sagen: Meine Wachrunde war sehr interessant. Das Wort Wachrunde sagt schon alles: Ich machte immer wieder die Runde, bis ich jemanden sah, der festzunehmen war. So einfach war das, und doch, wie spannend, sich langsam und bedächtig durch die Menschenmengen zu bewegen, sie wie beiläufig zu beobachten und sich zu vergewissern, ob nicht einer von ihnen Hilfe brauchte oder Böses im Schilde führte.
    Nachdem ich mich in den Tombs zum Dienst gemeldet hatte, führte meine Route mich in die Centre Street. Von gewaltigen Pferden gezogene Omnibusse rumpelten an mir vorbei, ihre Räder zermahlten die dicke Schlacke auf der Straße zu Staub, damit die Stiefelputzer etwas wegzupolieren hatten. Bei dem imposanten Gaswerk an der Ecke Canal und Centre Street bog ich nach links ab. In der Canal Street gab es immer ein herrliches pulsierendes Gewusel, Gemüsehändler gleich neben Kurzwarenhändlern, Schaufenster voller glänzender Schuhe, Auslagen mit Stoffballen aus türkiser, scharlachroter und violetter Seide. Über der Fülle von Uhren und Strohhüten wohnten die Angestellten und Arbeiter mit ihren Familien, die Männer hatten die Ellbogen auf die hohen Fenstersimse gestützt und schlürften ihren Morgenkaffee. Am Pferdedroschkenstand am Broadway war das Verdeck der vierrädrigen Kutschwagen unter dem rosafarbenen Himmel zurückgeklappt, die Fahrer rauchten Zigarren und schwatzten, während sie auf die ersten Fahrgäste des Tages warteten.
    Hier musste ich nach Süden abbiegen. Sollte es auf Erden eine breitere Straße als den Broadway geben, eine noch brodelndere Straße, eine Straße mit einem noch schwindelerregenderen Pendelausschlag zwischen ausgemergelten Opiumsüchtigen, denen die Fetzen vom Leib faulen, und Damen in Ausgehkleidung, aufgetakelt wie kleine Dampfschiffe, so kann ich mir das jedenfalls nicht vorstellen – und will es auch gar nicht. Farbige Lakaien, ausstaffiert mit sommerlichen Strohhüten und blassgrünen Leinenjacken, sausten in hochrädrigen Kutschen vorüber, und einer stieß fast mit einem jüdischen Mädchen zusammen, das Bänder aus einem breiten Bauchladen verkaufte. Eislieferanten von der Knickerbocker Company, die Schultern knotig von geschwollenen Muskeln, hievten mit eisernen Zangen die gefrorenen Blöcke auf Karren und fuhren ihre Fracht dann in die prachtvollen Hotels, bevor die Gäste erwachten. Und dazwischen tummelten sich schlammverkrustete, lüsterne und wundersam flinke gescheckte Schweine und schnüffelten mit ihren Rüsseln durch die zertrampelten Rübenblätter. Alles war dreckig, nur nicht die Schaufensterscheiben, alles war zu verkaufen, nur nicht die Pflastersteine, alles pulsierte vor Energie, aber keiner begegnete deinem Blick.
    Vom Broadway bog ich nach Osten in die Chamber Street ein. Zu meiner Linken erhoben sich die eleganten Backsteinfassaden der Anwaltsbüros und Arztpraxen mit den zur Kühlung geschlossenen Fensterläden. Zu meiner Rechten dagegen lag der City Hall Park, der nicht nur das Rathaus, sondern auch das Stadtarchiv barg. Im Park war alles entweder schmutzig oder braun. Wenn ich das Ende dieses graslosen Geschwürs erreicht hatte, befand ich mich wieder in der Centre Street und ging geradewegs zurück zu den Tombs.
    Es geschah an der Kreuzung Centre Street und Anthony Street, nur einen Häuserblock von den Tombs entfernt, dass alles plötzlich ins Kippen geriet.
    In den zwei Wochen, seit ich Polizist war, hatte ich sieben Festnahmen durchgeführt. Jede nur einen Katzensprung von dieserKreuzung entfernt. Zwei Kerle, die Unschuldige neppten, was bei meinem Bruder und dessen Helfershelfern beschuppen heißt – sie verkauften den Emigranten gefälschte Aktienzertifikate. Drei Männer hatte ich wegen Trunkenheit und Erregung

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