Der Thron der roten Königin
Dunkelheit und Verzweiflung meines eigenen Kummers die Sonne selbst ausgelöscht, und nun ist es ganz plötzlich finster wie die Nacht. Vielleicht wird es jetzt immer Nacht bleiben. Es wird dunkel sein, solange Richard auf dem Thron von England sitzt und mein Sohn wie ausgetilgt ist aus der Welt, so wie das Licht der Sonne gelöscht wurde. Seit seinem gescheiterten Feldzug ist mein Leben dunkel wie die Nacht, und nun sollen alle in meiner Dunkelheit leben, schließlich haben sie sich nicht für meinen Sohn erhoben. Meinetwegen können wir alle in diesem gottverlassenen Königreich ohne wahren König für alle Zeiten umnachtet sein. Denn genau das haben wir verdient.
Die Frau zittert und eilt ins Haus zurück. Der Waffenknecht bleibt in einiger Entfernung scheinbar in Habachtstellung stehen, hin- und hergerissen zwischen seiner Pflicht, mich zu schützen, und seiner Furcht. Wir warten im gespenstischen Zwielicht, ob irgendetwas geschieht. Ich frage mich, ob dies das Ende der Welt ist und ob die Engel nun endlich in ihre Trompeten blasen und Gott mich zu sich ruft. Schließlich habe ich ihm so lange, unter großen Entbehrungen und ohne Dank in diesem irdischen Jammertal gedient.
Wieder sinke ich auf die Knie und taste nach dem Rosenkranz in meiner Tasche. Ich bin bereit, seinem Ruf zu folgen. Ich habe keine Angst, ich bin eine mutige Frau, die in der Gunst des Herrn steht. Sollen sich die Himmel öffnen, soll Gott mich zu sich rufen: Ich bin bereit. Vielleicht wird er mich – seine ihm treu ergebene Dienerin – sogar als Erste zu sich holen, um allen, die an meiner Berufung gezweifelt haben, zu zeigen, dass er mit mir im Einvernehmen ist. Doch stattdessen scheint wieder dieses unirdische Licht, und als ich die Augen öffne, ist die Welt um mich herum schon fast wieder wie zuvor, das Licht wird heller, die Scheibe löst sich allmählich von der Sonne, die nun wieder zu grell scheint, als dass ich in sie hineinblicken könnte, und die Vögel zwitschern wie zur Morgendämmerung.
Es ist vorbei. Der gottlose Schatten ist vorübergezogen. Das muss ein Zeichen sein – doch wofür? Was soll ich daraus lernen? Der Bewaffnete sieht mich schlotternd vor Angst an. Er vergisst seine Stellung und wagt es, mich direkt anzusprechen: «Um Himmels willen, was war denn das?»
«Ein Zeichen», antworte ich, ohne ihn für seine direkte Frage zurechtzuweisen. «Ein Zeichen von Gott. Die Herrschaft des einen Königs endet. Eine neue Sonne geht auf. Die Sonne von York soll ausgelöscht werden, und die neue Sonne hält Einzug wie ein Drache.»
Er schluckt. «Seid Ihr sicher, Mylady?»
«Du hast es doch gesehen», sage ich.
«Ich habe die Dunkelheit gesehen …»
«Hast du den Drachen aus der Sonne kommen sehen?»
«Ich glaube schon …»
«Das war der Drache der Tudors, der aus dem Westen kam, so wie mein Sohn kommen wird.»
Er sinkt auf die Knie und streckt mir die Hände in der Geste des Lehnseids entgegen. «Nehmt meine Dienste für Euren Sohn in Anspruch», sagt er. «Ich bin Euer Lehnsmann. Ich habe gesehen, wie sich die Sonne verdunkelt hat, ganz wie Ihr sagtet, und ich habe den Drachen aus dem Westen kommen sehen.»
Ich nehme seine Hände in die meinen und lächele in mich hinein. Dies ist die Geburtsstunde einer Legende: Er wird weitererzählen, dass er gesehen hat, wie der Tudordrache von Wales aus dem Westen die Sonne von York verdunkelt hat.
«Die Sonne ist nicht mehr im Strahlenkranz», schließe ich feierlich. «Wir haben mit angesehen, wie sie überschattet und besiegt wurde. Das ganze Königreich hat gesehen, wie die Sonne gescheitert ist. In diesem Jahr wird die Sonne von York für immer untergehen.»
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März 1485
An meine Gemahlin, Lady Margaret Stanley
Ich möchte Dich darüber informieren, dass die Königin tot ist. Sie kränkelte seit dem Weihnachtsfestmahl und verstarb an dem Tag, da sich die Sonne über der Burg verfinsterte, fast gänzlich auf sich gestellt an Lungenschwäche.
Es wird Dich sicher interessieren, dass Richard der Absicht, seine Nichte zu heiraten, öffentlich abgeschworen hat. Die Gerüchte waren skandalös, und die Herren des Nordens haben ihm unmissverständlich klargemacht, dass sie eine derartige Beleidigung des Gedenkens der Königin – die eine der ihren war – nicht dulden würden. Viele sind entsetzt bei dem Gedanken, Elizabeth Woodville könnte als Mutter der Königin wieder zu höchsten Ehren gelangen, schließlich haben sie die Exekution ihres
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