Der Thron der roten Königin
sie meinem Gemahl gestattet, sie aus dem Sattel zu heben – und mein Gemahl lächelt, wie ich ihn noch nie habe lächeln sehen.
Plötzlich steht mir alles wieder deutlich vor Augen. Es war in dem Jahr, in dem ich bei Hofe eingeführt wurde, als Margarete von Anjou, die Königin von Henry VI ., der Welt dasselbe Rot zeigte, dasselbe leuchtende Scharlachrot. Ich erinnere mich, wie Königin Margarete den Blick durch die große Halle des Hofes schweifen ließ, ohne mich auch nur im Geringsten zu beachten, als sei ich ihrer Aufmerksamkeit nicht würdig. Ich erinnere mich an ihren hochaufragenden Hennin und an das Rot ihres Gewandes. Damals empfand ich, genau wie jetzt, den aufwallenden Zorn derjenigen, welche die größte Aufmerksamkeit verdient hätte und doch übersehen wird. Die junge Lady Elizabeth ist nicht einmal über meine Schwelle getreten, doch sie trägt die Farbe einer Frau, die alle Aufmerksamkeit auf sich lenken möchte. Bevor sie auch nur einen Fuß in mein Haus gesetzt hat, weiß ich schon, dass mich von nun an niemand mehr eines Blickes würdigen wird. Sie wird schon lernen, mich zu respektieren, dafür werde ich sorgen. Sie soll bald wissen, wer von uns hier den Ton angibt, das schwöre ich. Die Kraft des Herrn ist mit mir; ich habe mein ganzes Leben mit Beten und Studieren verbracht. Sie hat ihr Leben mit Frivolitäten und Ehrgeiz vertrödelt, und ihre Mutter ist nichts weiter als eine Hexe, die Glück hatte. Sie wird mich ehren in Gottes Namen, dafür werde ich Sorge tragen.
Mein Gemahl öffnet ihr die Tür persönlich und weicht zurück, um ihr den Vortritt in die große Halle zu gewähren. Als ich mich aus dem Schatten löse, prallt sie zurück, als wäre ich ein Geist. «Oh! Lady Margaret! Ihr habt mich erschreckt! Ich habe Euch gar nicht kommen sehen!», ruft sie dann und sinkt in einen präzise ausgeführten Knicks: nicht so tief wie für eine Königin, aber tief genug für die Frau eines großen Lords des Reiches und für die Frau, die ihre Schwiegermutter werden könnte. Sie knickst mit erhobenem Haupt, als wollte sie mich daran erinnern, dass ich bei ihrem Onkel in Ungnade gefallen bin, sie jedoch seine Favoritin ist und er der König.
Ich deute ein winziges Nicken an, dann tausche ich mit meinem Gemahl den gewohnt frostigen Begrüßungskuss. «Gemahl, sei willkommen», lüge ich höflich.
«Gattin, ich bringe dir Freude», antwortet er. Diesmal lächelt er fröhlich; es unterhält ihn blendend, diese erblühte Blume in die kalte Ödnis meines Heims zu bringen. «Ich bin froh, dir zur Erheiterung deiner Einsamkeit Gesellschaft mitzubringen.»
«Ich bin in meiner eigenen Gesellschaft bei Studien und Gebeten glücklich», antworte ich prompt, doch als er eine Augenbraue hebt, sehe ich mich dazu gezwungen, zu ihr gewandt hinzuzufügen: «Aber selbstverständlich bin ich sehr froh über Euren Besuch.»
«Ich werde Euch bestimmt nicht lange stören», sagt sie errötend ob meines unhöflichen Willkommens. «Es tut mir leid, dass ich Euch zur Last fallen muss. Der König hat es befohlen.»
«Es war nicht unser Wunsch, doch ist es eine glückliche Fügung», schaltet sich mein Gatte galant ein. «Wollen wir in dein Privatgemach gehen und ein Glas Wein zu uns nehmen?»
Ich nicke meinem Haushofmeister zu. Er weiß, dass er die besten Flaschen bringen muss; mein Gemahl ist inzwischen trefflich mit meinem Keller vertraut und lässt sich, da er hier jetzt Herr im Hause ist, immer den feinsten bringen. Ich gehe voran und höre hinter mir ihren leichten Schritt; ihre hohen Absätze klappern auf den Steinplatten in der Halle im Takt schierer Eitelkeit. In meinem Zimmer weise ich ihr einen Schemel an, während ich mich auf den geschnitzten Stuhl setze und auf sie hinabblicke.
Sie ist unbestreitbar schön mit ihrem herzförmigen Gesicht, blässlicher reiner Haut, geraden braunen Augenbrauen und weitstehenden grauen Augen. Der Locke nach zu urteilen, die sich unter der Kappe gelöst hat und ihr auf die Schulter fällt, ist ihr Haar hell und gelockt. Sie ist groß und anmutig wie die Mutter, aber sie hat einen liebenswürdigen Charme, der ihrer Mutter nie eigen war. Nach Elizabeth Woodville drehen sich in einer Menschenmenge alle um, doch dieses Mädchen nimmt die Herzen aller ein. Ich verstehe, warum mein Gemahl sie als strahlend bezeichnet hat, sie ist unglaublich bezaubernd. Selbst jetzt, als sie die Handschuhe auszieht und die Hände am Feuer wärmt und sich gar nicht bewusst ist, dass ich sie
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