Der Thron der roten Königin
Geduld bete, meine Gefangenschaft und das erzwungene Schweigen zu ertragen, und ich bete für die Nachfolge meines Sohnes und den Untergang seiner Feinde. Doch meine Gedanken kreisen allein um Richards Untergang und um die Demütigung der Prinzessin von York und ihrer Hexenmutter. Plötzlich komme ich mit einem Ruck zu mir: Die Kerzen sind heruntergebrannt, ich muss wohl zwei Stunden auf den Knien verbracht haben. Meine Begleiterinnen hinter mir sind unruhig, sie seufzen theatralisch wie Frauen, die sich einbilden, schlecht behandelt zu werden.
Ich erhebe mich und begebe mich zum Frühstück, wo ich mit ansehen muss, mit welcher Lust sie sich auf das Essen stürzen, als wären sie am Verhungern, nur weil wir vielleicht eine Stunde später gekommen sind. Hoffnungslos bestechliche Kreaturen. Hätte ich diese Zeit der Gefangenschaft in einem Kloster verbringen können, hätte ich wenigstens mit heiligen Frauen zusammengelebt und nicht mit dieser Ansammlung von Närrinnen. Ich ziehe mich in mein Gemach zurück, um mich der Verwaltung meiner Ländereien und dem Eintreiben der Pacht zu widmen, aber es gibt so gut wie nichts zu tun. Alles geht nun an den Haushofmeister meines Gemahls, und ich bin eine Mieterin in dem Haus, das ich einst mein Eigen nannte.
Zur Erhaltung meiner Gesundheit zwinge ich mich, mich am Morgen eine Stunde im Garten zu ergehen, aber ich finde keinen Gefallen an den saftigen Knospen der Apfelbäume und dem wippenden Gelb der wilden Narzissen. Die Sonne wird allmählich wärmer, doch fällt es mir schwer, mich daran zu erfreuen, denn ihr Lauf macht mir bewusst, dass mir ein weiteres Jahr der Gefangenschaft bevorsteht. Dies ist die Zeit der Feldzüge – mein Sohn wird jetzt sicherlich Truppen rekrutieren und Schiffe heuern, aber ich weiß so gut wie nichts darüber. Es ist, als sei ich in einem ewigen Winter der Abgeschiedenheit und des Schweigens gefangen, während der Rest der Welt zum Leben erwacht, zu all den sich bietenden Gelegenheiten und zur Sünde selbst.
Zunächst halte ich es für einen Abglanz meiner Stimmung, als sich die Welt seltsam verschattet und die Sonnenstrahlen, die vor wenigen Augenblicken noch so hell und warm schienen, plötzlich kühl werden, fast wie Kerzenlicht. Kerzenschein im Obstgarten. Auf einmal verstummen auch die Vögel, die in den Bäumen gezwitschert haben, die Hennen trippeln quer durch den Garten zum Hühnerhaus, und es wird immer dunkler, als senkte sich die Nacht herab – dabei ist es noch nicht einmal Mittag.
Ich bleibe wie angewurzelt stehen: Endlich wird meine Bestimmung wahr. Endlich geschieht es. Eine Vision ist über mich gekommen, am helllichten Tag, endlich werde ich einen Engel erblicken oder vielleicht die gebenedeite Jungfrau Maria, die mir kundtut, wann mein Sohn landet und dass er triumphieren wird. Ich falle auf die Knie, ich bin bereit für die Erscheinung, auf die ich ein Leben lang gewartet habe. Endlich werde ich sehen, was die Jungfrau Johanna gesehen hat. Endlich werde ich in den Kirchenglocken die Stimmen der Engel hören.
«Lady Margaret! Lady Margaret!» Eine Frau kommt aus dem Haus gelaufen, gefolgt von einem Waffenknecht. «Kommt herein! Kommt herein! Etwas Schreckliches geschieht!»
Ich zucke zusammen und öffne die Augen. Als ich mich umdrehe, kommt diese schreiende Närrin mit wehenden Röcken und verrutschter Haube durch den Obstgarten auf mich zugestürmt. Eine heilige Vision kann es nicht sein, wenn eine Närrin wie sie diese wahrnehmen kann. Ich erhebe mich. Heute gibt es keine Vision; was ich bemerke, ist nur das, was alle anderen auch sehen, und es ist auch kein Wunder, sondern etwas ganz von dieser Welt, wenn auch etwas sehr Eigenartiges.
«Lady Margaret! Kommt herein! Ein Sturm zieht auf oder etwas Schlimmeres!»
Sie ist eine Närrin, aber sie hat recht: Etwas Schreckliches geschieht, nur dass ich nicht weiß, was. Ich sehe in den Himmel, und da erblicke ich etwas äußerst Absonderliches und Unheilverkündendes: Die Sonne wird von einer großen, dunklen Scheibe verschluckt, als schiebe man eine Platte vor eine Kerze. Während ich die Hände vor die Augen schlage und durch die Finger blinzele, kann ich erkennen, wie sich die Scheibe langsam vor die Sonne schiebt, bis sie diese vollkommen verdeckt und die Welt zur Gänze in Dunkelheit versinkt.
«Kommt herein!», wimmert die Frau. «Lady Margaret, um der Liebe Gottes willen, kommt herein!»
«Geht Ihr nur!», rufe ich ihr fasziniert zu. Es ist, als hätten die
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