Der Thron der roten Königin
jegliche Begierde, wie ein kleines Mädchen. Es kommt mir vor, als gäbe es keinen besseren Weg, eine Frau von der Lust zu kurieren, als die Ehe. Jetzt verstehe ich endlich, was die Heilige meinte, als sie sagte, es sei besser zu heiraten, als zu brennen. Nach meiner Erfahrung brennt man ganz bestimmt nicht, wenn man heiratet.
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Sommer 1456
E in langes Jahr voller Einsamkeit, Abscheu und Schmerz, und nun habe ich eine weitere Last zu tragen. Edmunds alte Kinderfrau wartet so ungeduldig auf einen weiteren Tudorsohn, dass sie jeden Monat zu mir kommt, um mich zu fragen, ob ich blute, als sei ich ihre Lieblingsstute. Sie hätte gern, dass ich nein sage, denn dann könnte sie es sich an ihren dicken alten Fingern abzählen, dass ihr kostbarer Junge seine Pflicht getan hat. Monatelang enttäusche ich sie und sehe zu, wie ihr runzeliges altes Gesicht zusammenfällt, aber Ende Juni kann ich ihr sagen, dass ich nicht geblutet habe. Sie kniet in meinem Privatgemach nieder und dankt Gott und der Jungfrau Maria, dass das Haus Tudor wieder einen Erben haben wird, der England vor dem Hause Lancaster rettet.
Zuerst halte ich sie für eine Närrin, doch nachdem sie zu meinem Gemahl Edmund und seinem Bruder Jasper gerannt ist und die beiden wie aufgeregte Zwillinge zu mir gelaufen kommen, um ihre besten Wünsche auszusprechen und mich zu fragen, ob ich auf irgendetwas besonderen Appetit habe, ob sie nach meiner Mutter schicken sollen, ob ich einen langsamen Spaziergang im Hof machen oder mich vielleicht doch lieber ausruhen möchte, erkenne ich, dass diese Empfängnis für sie tatsächlich der erste Schritt zur Größe ist und die Rettung unseres Hauses bedeuten könnte.
Als ich mich an diesem Abend zum Beten niederknie, habe ich endlich wieder eine Vision. Sie ist so klar, als wäre helllichter Tag, und die Sonne strahlt wie in Frankreich und ist nicht grau wie in Wales. Es ist keine Vision von Johanna auf dem Weg zum Scheiterhaufen, sondern eine übernatürliche Vision von Johanna, als sie zur Größe gerufen wurde. Ich bin bei ihr in den Feldern in der Nähe ihres Hauses; ich spüre das weiche Gras unter meinen Füßen, und die Helligkeit des Himmels überwältigt mich. Ich höre die Glocken zum Angelus läuten, und sie klingen in meinen Ohren wie Stimmen. Ich höre himmlischen Gesang, und dann sehe ich ein schimmerndes Licht. Ich lasse den Kopf auf den schweren Stoff meines Bettes fallen, doch das grelle Licht brennt noch immer hinter meinen Augenlidern. Ich bin erfüllt von der Überzeugung, dass ich sehe, wie sie gerufen wird, und dass ich selbst gerufen werde. Gott wollte, dass Johanna ihm dient, und nun will er mich. Meine Stunde ist gekommen, und Johanna, meine Heldin, hat mir den Weg gewiesen. Ich erbebe vor Verlangen, heilig zu sein, und das Brennen hinter meinen Augen breitet sich in meinem ganzen Körper aus. Es brennt, dessen bin ich sicher, in meinem Leib, in dem das Kind zum Licht des Lebens heranwächst und in dem sich sein Geist formt.
Ich weiß nicht, wie lange ich kniend im Gebet verharre. Niemand unterbricht mich, und als ich schließlich staunend die Augen öffne und in die tanzenden Kerzenflammen blinzele, fühle ich mich, als wäre ich ein ganzes Jahr lang in heiliges Licht eingetaucht gewesen. Langsam stehe ich auf, indem ich mich am Bettpfosten hochziehe, die Begegnung mit dem Göttlichen hat meine Knie geschwächt. Staunend sitze ich auf meiner Bettstatt und frage mich, welcher Art mein Ruf war. Johanna wurde gerufen, Frankreich vom Krieg zu erretten und den wahren König von Frankreich auf den Thron zu setzen. Es muss einen Grund dafür geben, dass ich mich auf ihren Feldern gesehen habe, dass ich mein Leben lang schon von ihrem Leben träume. Unsere Leben müssen im Gleichschritt verlaufen. Ihre Geschichte muss mir etwas sagen. Auch ich muss aufgerufen worden sein, mein Land zu retten, so wie ihr befohlen wurde, das ihre zu retten. Ich bin aufgerufen, England aus der Gefahr zu befreien, aus Unsicherheit und Krieg, und den wahren König von England auf den Thron zu setzen. Das Kind, das in meinem Leib heranwächst, wird König Henry beerben, selbst wenn sein Sohn überleben sollte. Ich weiß es. Dieses Kind wird ein Sohn – das sagt mir meine Vision. Mein Sohn wird den Thron von England erben. Mein Sohn wird durch seine Herrschaft den entsetzlichen Krieg mit Frankreich beenden. Er wird die Unruhen in unserem Land befrieden. Ich werde ihn auf die Welt bringen, ihn die Wege
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