Der Thron der roten Königin
Abend darüber ereifern, wie man einen Bogen richtig spannt. Ich kann ihren Nutzen in Gottes Plan nicht erkennen.
Die Burg ist ständig in Alarmbereitschaft, weil immerfort bewaffnete Soldaten vorüberziehen und die Dörfer in der Umgebung plündern. Meine Mutter hatte recht mit ihren Befürchtungen: Seit der König in Trance gefallen ist, gibt es nun überall Unruhen. Hier ist es noch schlimmer als andernorts, weil es ohnehin ein ziemlich wildes Land ist. Und eigentlich war es auch nicht anders, als es dem König wieder besserging, auch wenn man den gemeinen Leuten gesagt hat, sie sollten sich freuen. Jetzt jedenfalls, da er wieder krank geworden ist, sagen einige, so werde es immer sein: Wir werden alle mit einem König leben müssen, von dem man nie weiß, ob er wach bleibt. Das ist ganz offensichtlich ein Nachteil. Selbst ich kann das sehen.
Männer bewaffnen sich gegen die Herrschaft dieses Königs. Zuerst haben sie sich über die erhöhten Steuern für die endlosen Kriege gegen Frankreich beschwert, und nun klagen sie darüber, dass die Kriege zwar vorbei sind, wir aber alles verloren haben, was wir einst unter dem Vater und dem Großvater des Königs gewonnen haben, die tapferer waren als er. Die Königin, eine Französin, ist allen verhasst. Man flüstert, der König stehe unter ihrem Pantoffel und das Land werde von einer Französin regiert; es wäre besser, der Duke of York regierte es.
Wer einen Groll gegen seinen Nachbarn hegt, ergreift die Gelegenheit, dessen Zäune einzureißen, sein Wild zu schießen oder sein Holz zu stehlen. Dann gibt es Streit, und Edmund muss dazwischengehen und mehr schlecht als recht richten. Die Straßen sind gefährlich, weil umherstreifende Soldatenhorden aus den Frankreichfeldzügen plündern und Menschen entführen. Wenn ich hinter einem Diener zwischen den Hütten des kleinen Dorfes hindurchreite, die sich an die Mauern der Burg drängen, muss ich eine bewaffnete Wache mitnehmen. Ich sehe die weißen Gesichter und eingesunkenen Augen des Hungers, und niemand lächelt mich an, auch wenn man meinen sollte, sie würden sich freuen, dass die neue Lady des Palastes sich für sie interessiert. Denn wer wird sich für sie verwenden hier auf Erden und droben im Himmel, wenn nicht ich? Doch ich verstehe nicht, was sie zu mir sagen, denn sie sprechen alle Walisisch, und wenn sie mir zu nahe kommen, senken die Diener ihre Piken und befehlen ihnen zurückzutreten. Für die gemeinen Menschen im Dorf bin ich offensichtlich genauso wenig ein Licht wie für die im Palast. Ich bin zwölf – wenn die Menschen jetzt nicht sehen können, dass ich ein Licht in einer dunklen Welt bin, wann denn dann? Doch wie sollte hier im elenden Wales, wo es nichts gibt als Matsch, irgendjemand irgendetwas sehen?
Eigentlich lebt Edmunds Bruder Jasper ein paar Meilen entfernt auf Pembroke Castle, aber er ist nur selten dort. Entweder hält er sich bei Hofe auf, wo er im Interesse des englischen Friedens versucht, das angespannte Übereinkommen zwischen der Familie York und dem König aufrechtzuerhalten – oder hier bei uns. Ob er nun ausreitet, um den König zu besuchen, oder mit sorgenvollem Gesicht nach Hause kommt, weil der König wieder in Trance gefallen ist, er findet immer einen Weg, der an Lamphey vorbeiführt, um bei uns zu Abend zu essen.
Beim Essen unterhält sich mein Gemahl Edmund nur mit seinem Bruder Jasper. Sie wechseln kein einziges Wort mit mir, und ich muss mit anhören, wie sie sich sorgen, ob Richard of York seinen Thronanspruch geltend machen könnte. Er wird beraten von Richard Neville, Earl of Warwick, und beide, Warwick wie York, sind Männer von zu großem Ehrgeiz, als dass sie einem schlafenden König gehorchen würden. Viele meinen, in den Händen eines Regenten sei das Land nicht sicher, und wenn der König nicht aufwache, werde England die Jahre, bis sein Sohn alt genug ist, um zu regieren, nicht überstehen. Einer muss sich auf den Thron setzen; wir können uns nicht von einem schlafenden König und einem Säugling regieren lassen.
«Wir können keine weitere lange Regentschaft erdulden, wir brauchen einen König», sagt Jasper. «Ich wünschte mir bei Gott, du hättest sie schon vor Jahren geheiratet und beschlafen. Dann wären wir dem Spiel jetzt voraus.»
Ich erröte und senke den Blick. Auf meinem Teller türmen sich Berge von Wild, verkocht bis zur Unkenntlichkeit. In Wales jagen sie lieber, als Gemüse anzubauen, und für jede Mahlzeit wird irgendein magerer Vogel
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