Der Thron der roten Königin
Jungfrau Maria, dass sie mich leite, denn auch sie hat schwere Zeiten durchlebt, als sie ihr Kind trug. Doch kein Heiliger Geist erscheint, um der Welt zu verkünden, dass ich das Gefäß des Herrn bin. Es scheint, als gebe es keine Verkündigung für mich. Während die Diener, der Priester und sogar meine adlige Gouvernante mit ihrem eigenen Schicksal und ihren kleinlichen Sorgen beschäftigt sind, lenkt die Nachricht vom merkwürdigen Schlaf des Königs und dem Machtkampf zwischen der Königin und dem Regenten des Landes die Aufmerksamkeit sämtlicher Schurken auf die Gelegenheit, in einem herrschaftslosen Land leichte Beute zu machen. Freunde der Herberts in Wales wissen, dass die Tudors auf der Flucht sind, dass ihr Erbe in Gefangenschaft sitzt, sein Bruder vermisst wird und seine Braut ganz allein auf Pembroke Castle ausharrt, krank vor Angst.
Dann, im November, erreicht mich ein Brief von meinem Schwager Jasper, adressiert an Lady Margaret Tudor. Er schreibt zum allerersten Mal an mich, und ich öffne den Brief mit zitternden Händen. Er verliert nicht viele Worte.
Bedaure, Dir mitteilen zu müssen, dass Dein Gemahl, mein geliebter Bruder Edmund, an der Pest gestorben ist. Halte die Burg um jeden Preis. Ich bin auf dem Weg.
Ich begrüße Jasper am Burgtor und bemerke augenblicklich, wie er sich verändert hat. Er hat seinen Zwilling verloren, seinen Bruder, die große Liebe seines Lebens. Er springt mit derselben Anmut vom Pferd, die Edmund einst besaß, doch jetzt klirren nur noch die eisenbeschlagenen Absätze von einem Paar Stiefel auf dem Pflaster. Den Rest seines Lebens wird er vergeblich auf die vertrauten Geräusche seines Bruder lauschen. Seine Miene ist grimmig, seine Augen hohl vor Trauer. Er nimmt meine Hand, als wäre ich eine erwachsene Lady, und kniet nieder. Dann hält er die Hände hoch wie zum Beten, als schwöre er mir Gefolgschaft. «Ich habe meinen Bruder verloren und du deinen Gemahl», beginnt er. «Ich schwöre dir, wenn du einen Jungen bekommst, werde ich mich um ihn kümmern, als wäre er mein eigener. Ich werde ihn mit meinem Leben beschützen. Ich werde ihn beschützen und auf den Thron von England setzen, um meines Bruders willen.»
Seine Augen füllen sich mit Tränen, und mir ist dieser große, erwachsene Mann, der vor mir auf die Knie gesunken ist, höchst unangenehm. «Danke», sage ich und sehe mich unbehaglich um, aber es ist niemand da, der mir erklären könnte, wie ich Jasper zum Aufstehen bewegen soll. Ich weiß nicht, welche Worte von mir erwartet werden. Mir fällt auf, dass er mir nichts versprochen hat, wenn ich ein Mädchen bekomme. Ich seufze und umklammere seine Hände, wie er es zu erwarten scheint. Wenn es Johanna von Orléans nicht gäbe, würde ich denken, Mädchen wären völlig nutzlos.
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Januar 1457
Z u Beginn des Monats ziehe ich mich in meine Gemächer zurück. Um das graue Winterlicht auszuschließen, werden die Schlafzimmerfenster mit Läden verschlossen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Himmel, der niemals blau ist, und eine Sonne, die niemals scheint, für eine schwangere Frau wirklich so gefährlich sein sollen, dass man sie davor abschirmen müsste. Doch die Hebamme besteht darauf, und so muss ich den Monat vor der erwarteten Niederkunft im Halbdunkel verbringen, wie es die Tradition verlangt. Jasper, blass vor Sorge, befindet, es müsse alles Erdenkliche zur Sicherheit des Ungeborenen getan werden.
Die Hebamme glaubt, das Kind kommt zu früh. Sie tastet meinen Bauch ab und sagt, es liege falsch, aber es könne sich noch rechtzeitig drehen. Sie erklärt mir, manchmal würden Ungeborene sich erst sehr spät drehen. Es sei wichtig, dass das Kind mit dem Kopf zuerst herauskommt, auch wenn ich nicht weiß, warum. Sie berichtet Jasper keine Einzelheiten, aber ich weiß, dass er jeden Tag vor meinen Gemächern auf und ab schreitet. Ich höre das Knarren der Dielen, auch wenn er auf Zehenspitzen auf und ab huscht, ängstlich wie ein liebender Gemahl. Da ich mich im zeremoniellen Rückzug befinde, darf ich keinen Mann sehen, und darüber bin ich sehr erleichtert. Aber ich wünschte, ich könnte meine Gemächer verlassen, um wenigstens zur Kapelle zu gehen. Vater Williams hier in Pembroke war zu Tränen gerührt über meine erste Beichte. Er sagte, er sei noch nie einer jungen Frau von größerer Frömmigkeit begegnet. Ich war froh, endlich jemanden zu finden, der mich versteht. Es ist ihm erlaubt, mit mir zu beten, wenn er
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