Der Thron der roten Königin
kümmern.»
«Wir lieben dich, Jasper und ich», sagt er fröhlich. «Wir nennen dich unseren Leitstern. Wir beten immer für dich, und für meinen Vater Edmund auch.»
«Aber jetzt bin ich doch hier!», beharre ich. «Edmund hat dich nie gesehen. Er zählt eigentlich gar nicht, es ist nicht dasselbe wie bei mir. Jasper ist im Exil; jetzt bin ich hier, ich allein!»
Er wendet das kleine Gesicht ab, die Augenlider fallen ihm zu, die dunklen Wimpern liegen auf den zartrosa Wangen. «Mein Onkel, Lord Pembroke, freut sich, dich hier auf der Burg empfangen zu können», murmelt er. «Wir sind beide sehr glücklich, dich willkommen …»
Er ist eingeschlafen. Als ich mich umdrehe, steht mein Gatte still am kalten Türrahmen aus Stein. «Hast du das gehört?», frage ich ihn. «Er denkt immer nur an Jasper. Er betet für mich wie für seinen Vater, der vor seiner Geburt gestorben ist. Ich bin ihm so fern wie die Königin.»
Mein Gemahl streckt die Hand nach mir aus, und ich freue mich über den Trost. Er schließt mich in die Arme, und ich kann den Kopf an seine Brust lehnen.
«Er ist ein kluger Junge», spricht er beruhigend auf mich ein. «Du musst ihm Zeit geben, dich kennenzulernen. Er hat so lange mit Jasper zusammengelebt, dass er seine ganze kleine Welt ausmachte. Er wird dir schon noch nahekommen. Hab Geduld. Außerdem ist es kein Nachteil, wenn du für ihn wie die Königin bist. Du bist seine Mutter, nicht sein Kindermädchen. Warum solltest du nicht sein Leitstern sein, unter dem er steht und dem er folgt? Von Jasper hat er gelernt, dich aus der Ferne anzuhimmeln. Darauf versteht er sich. Warum willst du eine andere Rolle spielen?»
[zur Inhaltsübersicht]
Herbst 1461
D as Läuten der Sturmglocke reißt uns aus dem Schlaf, und ich springe aus dem Bett, werfe mir einen Umhang über und laufe in den Kindertrakt. Mein Junge zerrt an seiner Kniehose und ruft nach den Stiefeln. Die Erste Kinderfrau schaut auf, als ich hereinkomme. «Mylady? Wisst Ihr, was das ist?»
Ich schüttele den Kopf und blicke zum Fenster hinaus. Das Fallgatter wird mit einem eiligen Rasseln herabgelassen, Wachen und Stallburschen kommen aus ihren Schlafquartieren und schreien durcheinander. Unter den Männern sehe ich meinen Gemahl, der leise und ohne Hast auf den Wachturm zugeht, von dem man das Tor überblicken kann.
«Ich gehe hinunter», sage ich.
«Ich komme mit! Ich komme mit!», piepst mein Sohn. «Ich brauche mein Schwert.»
«Du brauchst dein Schwert nicht», sage ich. «Aber du kannst mitkommen, wenn du mir versprichst, bei mir zu bleiben.»
«Darf ich den kleinen Graf begleiten? Bitte, Mylady?», fragt sein Kindermädchen. Ich werde rot vor Zorn, denn sie glaubt, ich könnte ihn nicht brav bei mir behalten, aber ich nicke, und wir drei laufen die Steintreppe hinunter, über den Hof und die enge Treppe zum Turm hinauf, wo mein Gemahl und der Hauptmann der Wache über die Zinnen hinweg auf die Fahne von William Herbert blicken. Sie flattert über einer kleinen Truppe, die den Hügel hochgetrabt kommt.
«Gott steh uns bei», flüstere ich.
Henry zieht sein Kindermädchen in die hintere Ecke des Turms, von wo er zusehen kann, wie unten die Zugbrücke hochgezogen wird.
Mein Gemahl schenkt mir ein Lächeln. «Ich bezweifle, dass wir in Gefahr sind», sagt er leise. «Auch wenn ich keinen Zweifel daran habe, dass man Herbert diese Burg zugesprochen hat, vielleicht sogar die ganze Grafschaft. Er ist nur gekommen, um seinen Besitzanspruch geltend zu machen. Mit uns hat er nicht gerechnet, wir sind hier jetzt nur noch Gäste.»
«Was werden wir tun?»
«Ihm die Burg übergeben.»
«Ihm die Burg übergeben?» Ich bin so entsetzt – was mein Gemahl vorhat, ist Verrat –, dass ich ihn mit offenem Mund anstarre. «Du willst ihm einfach die Schlüssel überreichen? Von Jaspers Burg? Die Tore öffnen und ihn zum Abendessen einladen?»
«Vielleicht bittet er uns ja sogar, mit ihm zu speisen», verbessert mich mein Gemahl. «Wenn dies, wie ich annehme, jetzt seine Burg ist.»
«Du kannst unmöglich vorhaben, sie ihm einfach zu überlassen.»
«Selbstverständlich habe ich das vor», erwidert er. «Wenn König Edward ihm die Burg und die Befehlsgewalt über Wales überantwortet hat, dann verhalten wir uns, wie es treuen Untertanen gebührt, und überlassen William Herbert seinen Besitz und geben dem Kaiser, was des Kaisers ist.»
«Diese Burg gehört uns Tudors», fahre ich ihn an. «Sie gehört Jasper, und in seiner
Weitere Kostenlose Bücher