Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Thron der Welt

Der Thron der Welt

Titel: Der Thron der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Lyndon
Vom Netzwerk:
Schnee, und er war verschwunden. Wayland ließ stöhnend den Kopf auf die Arme sinken. Er war sicher, dass das Falkenweibchen ihn nicht gesehen hatte. Ein Fuchs musste es erschreckt haben.
    Dann hörte Wayland Felsgestein poltern. Sein Nacken begann zu prickeln. Füchse waren zu leichtfüßig, um so laute Geräusche zu verursachen. Wahrscheinlich hatte sich Syth Sorgen gemacht und kam, um sich davon zu überzeugen, dass alles in Ordnung war. Er kämpfte seinen Ärger nieder und wartete darauf, dass sie in Sicht kam.
    Doch keine Schritte waren zu hören. Ein Instinkt, der sich in seinen Jahren in der Wildnis entwickelt hatte, brachte ihn dazu, keinen Laut von sich zu geben. Er wartete. Ein scharf widerhallender Knall ließ ihn zusammenfahren – nur eine Rissbildung im Gletschereis. Die Stille zog sich in die Länge. Er lauschte mit offenem Mund und nach oben verdrehten Augen. Der Gletscher stöhnte. Das Eis zog sich unentwegt zusammen und dehnte sich wieder aus und produzierte dabei höchst beunruhigende Geräusche. Das Steingepolter war vermutlich nur dadurch verursacht worden, dass sich ein Felsbrocken unter dem schmelzenden Schnee gelöst hatte. Aber warum hatte dann der Falke einen Warnschrei ausgestoßen? Wie er so in seinem eiskalten Unterschlupf lag, musste Wayland wieder an Orms Lagerfeuererzählungen von Polarriesen mit Körpern aus Stein denken und an in Fetzen abgezogene Menschenhaut auf dem Eis.
    Irgendetwas schnaubte. Waylands Kopfhaut begann zu kribbeln. Er lauschte mit angehaltenem Atem, die Kehle wurde ihm eng. Die Taube lag starr vor Entsetzen mit ausgebreiteten Flügeln wie tot im Schnee. Er zog sie zu sich hinein und tastete in seinem Schlafsack nach dem Messer. Sein Gürtel hatte sich unter seinem Körper verschoben, und er konnte die Messerscheide nicht erreichen. Also schob er sich ein Stück hoch und fuhr mit der Hand um seine Taille, bis sich seine Finger um das Messer schlossen. Bevor er es ziehen konnte, hörte er den Schnee knirschen. Er unterdrückte ein Aufkeuchen, als ein Schatten über die Öffnung seines Unterschlupfs fiel.
    Er zog das Messer. Sein Bogen lag neben ihm, doch in der engen Steinröhre konnte er ihn nicht einsetzen. Ein weiteres Schnauben drang herein – ein Raubtier, das seine Beute gestellt hatte. Wayland wusste, was es war, hatte es im Grunde von Anfang an gewusst, es sich jedoch nicht eingestanden.
    Zwei enorme weiße Beine tauchten vor der Öffnung des Unterschlupfs auf und verstellten ihm das Licht. Der Bär kam von der oberen Felsplatte. Zwei weitere Beine wurden sichtbar, als er ganz herunterkletterte. Dann drehte er sich zu dem Unterschlupf um. Wayland konnte nur die gewaltigen, zotteligen Beine in ihrem gelblichen Fellkleid sehen, das im Gegenlicht der Sonne beinahe durchscheinend wirkte. Die Tatzen waren so breit wie Holzschaufeln und mit daumendicken, schwarzen Klauen bewaffnet.
    Dann senkte der Bär den Kopf vor die Öffnung. Vor Schreck zuckte Wayland zurück und knallte mit dem Schädel gegen den Stein. Der Bär rammte seinen Kopf in die Öffnung und blies Wayland einen Schwall übelriechenden Fischatems ins Gesicht. Das Tier knurrte und entblößte dabei gelbe Fangzähne und schwarzes Zahnfleisch. Wayland rutschte noch tiefer in die Höhlung. Die Kiefer des Bären waren weniger als einen Fuß von seinem Gesicht entfernt. Der Bär schob sich vor, gewann noch ein paar Zoll. Da begann Wayland so laut und wild zu brüllen, dass es ihm in der Kehle schmerzte, und der Bär zog mit einem Grunzen den Kopf aus der Öffnung des Unterschlupfs.
    Keuchend lag Wayland da. Nur wenige Augenblicke darauf versuchte das Tier erneut, an ihn heranzukommen. Es tastete mit der Tatze in die Höhlung hinein. Seine Krallen verfingen sich in dem Schlafsack, in den sich Wayland gewickelt hatte, und das Tier begann, den Schlafsack mit Wayland darin aus der Höhlung zu ziehen. Wayland versuchte, sich in das Gestein zu stemmen. Der Bär verstärkte den Zug, und der Schlafsack riss. Daunenfedern schwebten hinaus in die Sonne. Wieder streckte der Bär seine Tatze in die Höhlung.
    «Hier!», rief Wayland und warf die Taube nach vorn.
    Ein jämmerliches Flattern, ein Tatzenhieb, der zu schnell für die Wahrnehmung war, und die Taube war verschwunden. Wayland hörte ihre Knochen brechen wie Eierschalen. Er wusste, dass ihm nur wenig Zeit blieb, bevor der Bär seinen Angriff fortsetzen würde, und er nutzte sie, um sich aus dem Schlafsack zu winden. Dann zog er die Knie ans Kinn und schob

Weitere Kostenlose Bücher