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Der Thron der Welt

Der Thron der Welt

Titel: Der Thron der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Lyndon
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Schnee den Hund übersehen. Schon liegt er auf dem Rücken und hat dieses Höllenvieh an der Kehle.»
    Drogo wandte sich zu Wayland um. «Ich habe dich gewarnt.»
    Wayland steckte zwei Finger in den Mund und pfiff. Klauen hämmerten über den Boden, und einen Moment später sprang der Hund zwischen den Vorhängen hindurch wie eine Erscheinung aus Mythen oder Albträumen, die Augen schwefelgelb, der eisenharte Nacken überzuckert von Frost. Als das Tier Drogos drohende Haltung wahrnahm, zogen sich seine Lefzen in schwarzen Falten zurück. Wayland zischte. Darauf trabte der Hund augenblicklich zu ihm, legte sich zu seinen Füßen auf den Boden und begann sich die Pfoten zu lecken.
    Olbec hielt erneut seinen Becher zum Nachfüllen hoch. «Ich hab’s doch gesagt, oder? Der Junge kann Tiere verzaubern.»
     
    Als Wayland aus dem Palas kam, erwartete ihn Raul. «Werden sie die Expedition losschicken?», fragte er und trabte neben Wayland her. «Bist du dabei? Kann ich mit?»
    Wayland schickte ihn mit einer Handbewegung fort. Er musste über zu vieles nachdenken. Als Raul nicht von seiner Seite wich, umkreiste ihn der Hund mit drohend gefletschten Zähnen. Wayland betrat seine Hütte, Raul blieb hinter ihm an der Tür. «Ich dachte, wir wären Freunde.»
    Wayland band den Hühnerhabicht an die Sitzstange und streckte sich auf seinem Lager aus. Er betrachtete den Vogel in dem trüben Licht. Den größten Teil der Taube hatte er gefressen, und sein Kropf stand vor. Er streifte sich den Schnabel an der Sitzstange ab, hob einen Fuß, streckte die mittlere Klaue aus und kratzte sich leicht an der Kehle. Die Bewegung brachte die Schelle an seinen Schwanzfedern zum Klingen. Er drehte den Kopf von rechts nach links, um das Futter in seinem Kropf hinunterzubefördern. Sein Gefieder entspannte sich, und er zog einen Klauenfuß unter die flaumige Federschürze. Er schlief. Am Morgen würde Wayland an jedem Augenlid einen der Nahtstiche öffnen können. In einer Woche würde der Habicht draußen im Tageslicht fressen. Und in drei Wochen würde er ohne Fessel fliegen. Wayland hatte gewonnen.
    Seltsam, dachte er, wie schnell doch Hunger und Erschöpfung die Angst und den Hass besiegten. Er selbst war weder gefesselt, noch waren seine Augen zugenäht, er musste nicht hungern und konnte nach Belieben kommen und gehen. Weder Not noch Zuneigung hielten ihn in der Burg, doch an jedem Abend brachte ihn eine eigentümliche Schwäche dazu, seine Schritte wieder zu den Menschen zu lenken, die er verabscheute. Er betastete das Kreuz, das um seinen Hals hing. Im Frühling würde er entkommen, das schwor er sich. Er würde zur gleichen Zeit wie die beiden Fremden gehen, und er würde seinen eigenen Weg einschlagen. Er blies die Lampe aus. Dann drehte er sich auf die Seite und zwirbelte mit den Fingern die Nackenfalten des Hundes, ohne zu wissen, dass er das Gleiche gern mit dem Haar seiner Mutter getan hatte.
    Der Hund war seine einzige greifbare Verbindung zur Vergangenheit, einer Sphäre, die er am liebsten aus seinen Gedanken verbannte. Doch manchmal brach sie in seine Träume ein, und er erwachte in Angstschweiß gebadet. Und manchmal, so wie in diesem Moment, stieg sie vor ihm auf wie ein Bild aus einem dunklen Teich.
     
    Seine Mutter hatte ihn und seine Schwester zum Pilzesammeln in den Wald geschickt. Er war vierzehn Jahre alt gewesen, seine Schwester zehn, und der Hund nur ein ungelenker, tapsiger Riesenwelpe. Drei Jahre waren seit König Harolds Niederlage vergangen, doch Wayland hatte seine ersten Normannen trotzdem erst einen Monat zuvor gesehen. Aus sicherer Entfernung hatte er die Soldaten in ihren Ringpanzerhemden beobachtet, die den Bau ihrer Burg am Tyne überwachten.
    Der Bauernhof, auf dem er lebte, lag zehn Meilen stromaufwärts, ein paar Morgen freies Gelände in einem Restbestand Urwald, der von einer tiefen Schlucht durchschnitten wurde. Sie waren zu siebt in seiner Familie. Seine Mutter war Engländerin, sein Vater ein dänischer Freisasse, der Sohn eines Wikingers, der als Mitglied der Leibwache des großen Knut nach England gesegelt war. Waylands Großvater lebte noch. Er war ein an sein Lager gefesselter Riese, der die nordischen Götter anrief und einen Thorshammer als Amulett um den Hals trug. Wayland hatte einen älteren Bruder und eine ältere Schwester, Thorkell und Hilda. Seine kleine Schwester hieß Edith. Weil seine Mutter darauf bestanden hatte, waren alle Kinder getauft worden, die Mädchen hatten englische

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