Der Thron der Welt
weiteren Anlauf. «Olbec hat für übermorgen eine Jagd angekündigt.»
«Es ist keine Jagdsaison.»
«Wir brauchen das Fleisch. Abends wird es ein Fest geben. Drogo möchte, dass Ihr mit ihm gemeinsam jagt.»
Vallon schnaubte. «Wie wir wissen, sucht er nur Streit.»
«Ihr müsst keine Befürchtungen haben. Lady Margaret hat darauf bestanden, dass Ihr mit ihrer Gruppe reitet.»
Vallon wandte Hero den Blick zu. «Wird der Graf dabei sein?»
Hero schüttelte den Kopf. «Seine Verletzungen würden ihm beim Reiten zu starke Schmerzen bereiten. Er bleibt in der Burg und sorgt für die Vorbereitung des Festes.»
Vallon starrte einen Moment lang nachdenklich vor sich hin, dann schwang er die Füße auf den Boden. «Sag der Lady, dass es mir eine Ehre ist, sie zu begleiten.»
Noch vor dem ersten Hahnenschrei verließ Wayland zusammen mit zwei Jägern und einem Forstmann die Burg, um nach einem Hirsch zu suchen, der mindestens ein Zehnender sein sollte. Die Jäger hatten Schweißhunde dabei – große, schwer gebaute Jagdhunde mit Hängewangen und trübselig wirkendem Blick. Ihre Aufgabe bestand darin, den Hirsch aufzuspüren und ihn lautlos bis zu seinem Versteck zu verfolgen. Das Frühstück der Jagdgesellschaft war noch in vollem Gange, als einer der Jäger zurückkam, um zu berichten, dass sie in einem Waldabschnitt jenseits des römischen Walls einen Zwölfender ausgemacht hatten. Mit ernster Miene zog er die Kappe von seinem Jagdhorn und ließ die Wildlosung auf den Tisch rollen. Drogo und seine Gefährten nahmen die Kötel in Augenschein, rochen daran, drückten sie zwischen den Fingern und kamen überein, dass sie von keinem Iltis, sondern von einem jagdbaren Tier stammten.
Hero sah der Jagdgesellschaft beim Aufbruch zu. Angeführt wurde sie von dem Jäger, der die Jagdhunde paarweise aneinandergeleint hatte. Drogo ritt an der Spitze der Jagdgruppe, am Ende folgten die Damen. Margaret war in Pelze und Seide gehüllt, und Vallon ritt auf einem geborgten Zelter. Er hatte sich das Haar stutzen lassen, nun fiel es in goldbraunen Wellen bis auf seine Schultern. Seine vornehme Haltung erfüllte Hero mit Stolz. Er winkte ihm zu und erntete ein würdevolles Nicken. Als Letzter kam der Priester, er wurde im Ochsenwagen des Schlachters hinterhergekarrt und klammerte sich an das vordere Querbrett wie ein Seemann, der sich dem aufkommenden Sturm entgegenstellt.
Die Pferde galoppierten über die Wiese und schleuderten dabei Erdbrocken in die Höhe. Wolken segelten über einen enzianblauen Himmel. Im Schatten lag immer noch Schnee, doch ganze Felder von Schlüsselblumen waren erblüht, und in jedem Gebüsch sangen die Vögel mit überschäumender Lebenskraft. Auf den Feldern um die Burg folgten die Bauern nach jahrhundertealter Tradition dem Pflug. Hero schloss die Augen, genoss die Sonnenwärme auf dem Gesicht und den Geruch frisch aufgebrochener Erde. Der Frühling war da. Die tiefsitzende Furcht in seinem Inneren begann abzuflauen, und stattdessen keimte Wohlbehagen in ihm auf.
Als die Jagdgesellschaft außer Sicht geriet, kehrte er in ihre schlichte Unterkunft zurück und setzte sich mit Pergament und Gallustinte an den groben Holztisch. Er tauchte die Schreibfeder ein und hob sie wie einen Zauberstab, doch die Magie, die er beschwören wollte, stellte sich nicht ein. Er zog die Augenbrauen zusammen. Er kratzte sich am Kopf. Er seufzte. Gedanken auf Pergament zu übertragen war keine leichte Aufgabe. So viele Wörter, unter denen man wählen musste, so viele Möglichkeiten, sie aneinanderzureihen. Während er am Ende der Schreibfeder saugte, überlegte er, welcher Schreibstil seinem Thema wohl am angemessensten wäre.
Die Flamme des Einfallsreichtums flackerte noch kurz auf, dann erstarb sie. Hero blies die Backen auf, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und starrte zur Decke hinauf. Dieser Tag hatte doch so vielversprechend begonnen, und nun zog sich jede einzelne Minute unerträglich in die Länge. Eine Biene schwirrte durch die Tür herein, summte durch den Raum und flog wieder ins Freie. Geistesabwesend schaute Hero durch das sonnige Rechteck der Türöffnung hinaus. Nach einer Weile wurde ihm die Stille bewusst. Er stand auf, ging leise zur Tür und spähte in alle Richtungen. Der Vorhof war, von zwei Wächtern abgesehen, die sich vor dem Torhaus in der Sonne wärmten, vollkommen verlassen. Hero ging wieder hinein, hob seinen Medizinkasten vom Bett und trug ihn zum Tisch. In den hölzernen Deckel
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