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Der Thron der Welt

Der Thron der Welt

Titel: Der Thron der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Lyndon
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Götter gnädig zu stimmen? Ihr seid Wilde. Schlimmer als die Tiere.»
    Arne wurde wütend. «Siehst du das?», fragte er und deutete auf den Runenpfahl. «Hier steht: ‹Dies hat Thorolf für Skopti gemacht, gestorben im Norden.› Ich kannte Skopti. Er hatte einen Bruder, Harald, er lebte ein Stück das Tal hinauf, in dem mein Bauernhof liegt. Harald hatte eine Frau und zwei Kinder, einen Jungen und ein Mädchen, die beide noch keine fünf Jahre alt waren. Vor sechs Jahren kam ein sehr harter Winter, der härteste seit Menschengedenken. So hart, dass der Schnee bis über die Dachtraufen lag und uns monatelang in unseren Gehöften einschloss. Als es zu tauen begann, zogen wir los, um nach Harald und seiner Familie zu sehen. In der Nähe seines Hauses angekommen, riefen wir Grüße, aber wir erhielten keine Antwort. Ich ging ins Haus und fand Harald und seine Frau tot. Sie waren verhungert. Aber ihre Kinder habe ich nicht gefunden. Nur ihre Knochen. Ihre Eltern hatten sie aufgegessen.»
    Hero drehte sich um, doch Arne packte ihn am Arm und hielt ihn fest. «Was hättest du denn getan? Du prahlst mit deinem Heimatland, in dem sich die Weizenfelder bis zum Horizont erstrecken, wo in den Obstgärten die vielen Äpfel die Äste der Bäume zu Boden ziehen und wo auf den Weiden kaum genug Platz ist für all die Schafe und Rinder. Das Land bestimmt über das Leben der Menschen. Also erlaube dir kein Urteil über andere, bevor du ihre Leiden selbst ertragen hast.»
    Hero verharrte in mürrischem Schweigen.
    «Wir sind nur diesen einen Abend hier», sagte Arne. «Morgen kehrst du zu deinen Freunden zurück. Also mach die Augen zu, und der Morgen kommt schnell.»
     
    In dieser Nacht betranken sich die Wikinger mit Birkenbier, zerrten die Frauen in den Hain und vergewaltigten sie gemeinsam. Hero ging mit Garrick und Arne zur anderen Seite der Insel und versuchte, die Geräusche auszublenden. Im Norden tanzte das Polarlicht.
    «Die Skraelinger sagen, das sind die Seelen der Toten», sagte Arne.
    «Warum nimmst du nicht an dem Gelage teil?», fragte Hero.
    Arne starrte auf das geisterhafte Licht. «Ich habe Frau und Töchter. Da muss ich immer denken: Und wenn sie es wären?»
    «Deine Gefährten haben auch Frauen und Töchter.»
    Garrick legte Hero stirnrunzelnd die Hand auf den Arm. Das Polarlicht löste sich auf. Die Besatzung der
Shearwater
übernachtete auf einer Nachbarinsel. Die Flammen ihres Lagerfeuers züngelten in die schwarze Nacht. Abgerissene Gesprächsfetzen drangen übers Wasser. Hero erkannte Rauls Lachen. Eine der Frauen stieß einen erstickten Schrei aus.
    «Du weißt, dass diese Fahrt blutig enden wird», sagte Hero.
    «Ja», sagte Arne. «Wenn sich Thorfinn nicht rächt, werden ihm seine Männer nicht mehr folgen.»
    «Wechsle die Seiten», sagte Hero. «Bring noch andere mit.»
    Arne erhob sich und stapfte in die Dunkelheit.
    Nachdem es ruhig geworden war, kehrten Garrick und Hero ins Lager zurück und streckten sich am Feuer aus. Das Geräusch der im Wind aneinanderklappernden Votivgaben begleitete Hero in den Schlaf. Er träumte von Knochen. Als er wieder aufwachte, war es noch dunkel, und er hörte Garrick an seinen Platz zurückgleiten und gequält seufzen. Um sie herum lagen die Wikinger und schliefen schnarchend und grunzend ihren Rausch aus. Dann beruhigte sich Garricks Atmung, und Hero schlief wieder ein.
    Im Morgengrauen weckte ihn ein Tumult. Die Männer rannten durcheinander. Arne hastete mit gezogenem Schwert an ihm vorbei. «Die isländischen Frauen sind entkommen.»
    Hero wollte sich aufrichten, doch Garrick hielt ihn zurück. «Erspar dir diesen Anblick.»
    Ein Hornsignal rief die Wikinger an die Ostseite der Insel. Mit einem fragenden Blick auf Garrick folgte Hero ihnen. Er fand die Wikinger um die Frauen geschart. Mutter und Tochter saßen nebeneinander am Strand, aneinandergelehnt, als wären sie eingeschlafen, während sie auf den Sonnenaufgang warteten. Hero ging um sie herum, damit er sie von vorn sehen konnte. Sie würden nie mehr einen Sonnenaufgang bewundern. Sie hatten sich die Pulsadern aufgeschnitten, ihr Blut war aus ihnen herausgelaufen, sodass ihre Gesichter kalkweiß und ihre Gewänder über dem Schoß blutdurchtränkt waren. Neben ihnen auf dem Boden lag der blutige Stein, den sie benutzt hatten, um Selbstmord zu begehen. Arne wollte Hero daran hindern, den Stein aufzuheben, aber Hero fluchte nur und schob ihn weg. Die Mutter hatte der Tochter zuerst mit der scharfen

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