Der Thron der Welt
Steinkante die Handgelenke aufgerissen, bevor sie ihre eigenen Adern aufgehackt hatte. Hero verlor die Fassung. Er schleuderte den Stein ins Meer.
«Verflucht sollt ihr sein! Verflucht ist dieser Ort!»
Thorfinn lachte über Heros Ausbruch, dann aber kniff er die Augen unheilvoll zusammen und ging zurück zum Lager.
Arne nahm Hero am Arm. «Hör mir zu. Es war dein englischer Freund, der den Frauen den Stein gegeben hat. Ich habe gehört, wie er in der Nacht weggeschlichen ist. Wenn du zurückgehst, rede nicht mit ihm. Du darfst ihn nicht einmal ansehen. Wenn du glaubst, Thorfinn könnte deine Gedanken nicht lesen, dann irrst du dich. Er versteht sehr gut, was in anderen vorgeht, ganz besonders, wenn sie etwas vor ihm verbergen wollen. Bleib hier, bis ich dich hole.»
«Warum? Was kann denn jetzt noch kommen?»
«Thorfinn wird einen der Gefangenen hängen lassen. Er glaubt, dass einer von ihnen den Frauen den Stein gegeben hat.»
«Gütige Jungfrau. Du musst ihn daran hindern!»
«Das kann ich nicht. Er würde mich töten.»
Nachdem Arne gegangen war, sah Hero über die Meerenge zur ankernden
Shearwater
hinüber. Ein dünner Rauchfaden stieg von der Insel auf und wurde vom Wind aufgelöst. Dort drüben fachten sie jetzt wohl in der Glut des Vorabends das Lagerfeuer an, bereiteten das Frühstück, wechselten die alltäglichen Bemerkungen von Reisenden, die sich gut miteinander verstehen. Er wünschte sich immer noch dort hinüber, als Arne zurückkam.
«Es ist vorbei.»
Hero folgte ihm wie betäubt ins Lager. Sosehr er sich auch bemühte, immer wieder wanderte sein Blick unwillentlich zu dem Gehängten hinüber. Der arme Kerl baumelte im Luftzug, den Kopf in einem absurden Winkel vom Körper weggeneigt, die Augen hervortretend aus einem fleckigen Gesicht.
«He, Grieche.»
Heros verschwommener Blick fiel auf etwas, das er sich mit Entsetzen vorgestellt, aber im Grunde nicht geglaubt hatte. Und schon gar nicht hätte er geglaubt, dass er es mit eigenen Augen sehen würde. Doch es stimmte. Thorfinn saß auf einem Holzklotz und riss mit seinen riesigen Zähnen Stücke aus der frisch aus dem Körper seines Opfers geschnittenen Leber.
Er wedelte mit der dampfenden Innerei in Heros Richtung, wie ein Mann, der ein herzhaftes Frühstück verspeist. «Nimm das in deine Geschichte auf.»
XXXIV
H ero verfolgte mit, wie die Küste immer näher kam und sich der flache, schwarze Umriss in einen dichten Wald verwandelte, der vom Einschnitt einer schlammigen Flussmündung unterbrochen wurde. Die Bäume ragten in den Schein der untergehenden Sonne, und die niedrigen Wellen, die an den Strand liefen, wurden von ihr rot gefärbt. Thorfinn befahl, das Segel herunterzulassen, das Langschiff glitt in die Flussmündung, und sein Bug küsste das Ufer. Die Wikinger sprangen an Land und verharrten dann halb in der Hocke, als befürchteten sie, irgendetwas aufzustören. Hero folgte ihnen und erschauerte. Es war so still. Als ob das Leben hier erst noch erweckt werden müsste. Die Stille verstärkte jedes einzelne Geräusch. Ein Blatt, das zwischen dem Geäst herabsegelte, klapperte wie zerbrochene Tonware. Das Sirren der Stechfliegen klang so laut, dass sich Hero die Ohren zuhielt.
Er ging über den Strand auf den Wald zu. Viele der Bäume am Waldrand waren tot. Tiefer im Gehölz standen sie dicht auf Inselchen in stehenden Tümpeln und gallegrünen Sümpfen. Vorhänge aus Moos und Flechten hingen von den Zweigen wie verrottete Leichentücher. Schwärme von Stechfliegen tanzten wie Spiralnebel durch die Luft. Das undurchdringliche Dickicht verschluckte das Tageslicht.
Am Strand war eine Art Statue aufgestellt worden, die jeder sehen musste, der in den Fluss einfuhr. Thorfinn musterte sie mit geblähten Nasenlöchern und ging dann darauf zu.
Es war so etwas wie eine Vogelscheuche. Angetan mit Lumpen, die über ein Holzgestell gezogen worden waren, und gekrönt mit dem Kopf eines Toten. Der Schädel musste in Gerbsäure eingelegt worden sein, denn er war noch mit ledriger Haut überzogen, und ingwerfarbene Haarsträhnen hingen von ihm herab. Thorfinn gab ein kehliges Geräusch von sich.
«Das ist Olaf Sigurdarsson», sagte einer der Wikinger. «Den würde ich überall wiedererkennen.»
«Und das sind die Hosen von Leif Blondhaar», sagte ein anderer.
Arne beugte sich zu Hero herüber. «Das sind zwei der Männer, die Thorfinn bei seiner letzten Ausfahrt verloren hat.»
Heros Aufmerksamkeit richtete sich auf ein Paar enormer
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