Der Thron der Welt
nickte.
«Das tut mir leid. Bist du verletzt?»
«Ein kleiner Stich von einem Pfeil und ein paar Prellungen. Nichts Ernstes.»
«Das sagst du. Ich möchte, dass Hero dich untersucht. Danach essen und schlafen.»
Wayland schob sich an ihm vorbei. «Ich kann nicht schlafen, wenn die Falken hungern.»
«Ich habe sie gefüttert», sagte Syth. «Vallon hat eines der Pferde schlachten lassen. Wir haben genügend Fleisch für die Falken, bis wir in Rus sind.»
Vallon nickte. «Ich habe dir ja gesagt, dass ich sie nicht hungern lassen würde.»
Wayland erwachte im Langschiff, das eine Ufer nur noch ein schwacher Umriss, das andere unsichtbar. Sie brauchten vier Tage, um den See zu überqueren, und das Einzige, was er von dieser Überfahrt im Gedächtnis behielt, waren die Gänse, die in langen, unregelmäßigen Reihen über sie hinwegflogen und zehntausendfache Klagerufe ausstießen.
XXXVII
E in breiter Fluss namens Swir verband den Onega-See mit dem Lagoda-See und dem Land Rus. Immer öfter sahen sie unbewohnte Hütten auf Lichtungen, die in den Wald geschlagen worden waren. Die Katen waren die Sommerunterkünfte von Jägern und Sammlern. Nachdem sie wochenlang im Freien geschlafen hatten, waren die Reisenden froh über den Schutz, den diese einfachen Hütten boten. Es war nun Anfang Oktober, und der Winter war ihnen dicht auf den Fersen. Jeden Tag zogen weniger Wildvogelschwärme nach Süden. Zwei weitere Isländer waren gestorben, weil sie der Hunger so stark geschwächt hatte, dass sie auch Vallons Anordnung nicht mehr retten konnte, die übrigen Pferde schlachten zu lassen.
Vallons Wunde hatte sich sauber geschlossen. Er hatte Hero auf die Wange geküsst und erklärt, ohne seine Heilkünste hätte ihn ein langsamer Tod durch den Wundbrand erwartet. Hero versuchte, daraus Genugtuung zu ziehen, während er eines Morgens mit Richard am Flussufer entlangtrottete. Es war das einzig Positive, was er ihrer Situation abgewinnen konnte. Sie waren noch Tage von Nowgorod entfernt, hatten nahezu alle Lebensmittel aufgebraucht, und viele der Reisenden waren krank. Wayland jedoch hatte sich erholt und verbrachte den größten Teil des Tages auf der Jagd. Doch ohne die Hilfe des Hundes schaffte er es nicht, genügend Beute zu machen, um die Falken satt zu bekommen. Sämtliche Vögel hatten so viel Muskelfleisch abgebaut, dass ihre Kielbeine hervorstanden wie Messer, und einer schrie von morgens bis abends nach Futter.
Die Wikinger und Isländer verstanden nicht, warum die Falken Fleisch bekommen sollten, während sie selbst Moos für die Suppe kochten und auf Pferdeleder kauten, um den Hungerschmerz zu betäuben. Am Tag zuvor, als Wayland und Syth mit einem einzigen Hasen von der Jagd zurückgekommen waren, hatten die Wikinger und Isländer sie umringt und den Hasen für sich gefordert. Vallon hatte der Szene ein Ende bereitet, doch es war knapp gewesen. Wenn sie in den nächsten ein oder zwei Tagen nichts Essbares finden würden, war eine Revolte unausweichlich. Und danach würde Barbarei ausbrechen. Die Schwachen würden zum Sterben zurückgelassen, es käme zu Kannibalismus …
Richard schien Heros Gedanken zu lesen. «Drogo hält sich zurück, aber du kannst mir glauben, dass er nur auf den richtigen Moment wartet, um etwas gegen Vallon zu unternehmen.»
Seufzend schüttelte Hero den Kopf. Der Himmel, an dem tief die eisengrauen Wolken hingen, war ein Spiegel seiner Gemütsverfassung.
Sie stapften weiter. Graue Flecken zogen durch Heros Gesichtsfeld. Er rieb sich die Augen und stellte fest, dass es schneite – dicke, fedrige Flocken, die schon begannen, eine Schneedecke zu bilden.
Richard blieb stehen. «Wir gehen besser zurück.»
«Da ist ein Pfad», sagte Hero und deutete auf eine Talsenke, die vom Schnee hervorgehoben wurde. «Er führt vielleicht zu einer Hütte. Vom Schiff aus können wir das nicht feststellen.»
Bald machte der Schnee den Pfad unsichtbar, und sie konnten sich nur noch am Geräusch des Flusses orientieren. Hero wollte gerade um einen verkrüppelten Busch herumgehen, als der Busch mit einem Schrei aufsprang. Es folgten weitere Schreie, und Gestalten liefen durch den Schnee. Ein Pfeil zischte an Heros Kopf vorbei.
«Friede!
Pax! Eirene!
»
Die Aufregung legte sich. Hinter dem Vorhang aus zarten, weißen Flocken machte er Menschen aus, die sich hinter dunkle Ballen duckten. Drei Männer mit schussbereiten Bögen kamen auf sie zu. Sie waren in Pelze gekleidet, die Augen hatten sie
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