Der Thron der Welt
die Kälte hoch und machte sich auf den Weg in die Dunkelheit.
«Behandelst du Caitlins Hände?», sagte Vallon.
«Ich will gerade zu ihr.»
«Danke. Du wirst einmal ein guter Arzt, falls du diese Reise überlebst.»
Nebel driftete von den Hügeln herab, als sie sich am nächsten Morgen am Flussufer versammelten. Das Licht wurde vom Dunst verschluckt, warf keine Schatten und ließ alle Umrisse diffus erscheinen. Auf dem Wasser lag ein bleifarbener Glanz. Der wilde Schrei eines Fischadlers hing noch lange in der Stille.
Die meisten sahen mit dumpfer Abscheu zu den Booten hinüber, während die Wikinger lachend und scherzend in ihres sprangen.
«Wulfstan», rief Vallon. «Heute fahren wir in zwei Booten. Teile deine Leute zwischen ihnen auf.»
Wulfstan gab seinen Männern einen Befehl. Die Wikinger stiegen widerwillig aus ihrem Boot.
Sie legten ab. Vallon gestattete Richard, seinen Riemen wegzulegen und sich zu erholen. Mit hochgezogenen Augenbrauen fragte er Hero: «Besser?»
Hero grinste. «Viel besser.»
Der Fluss strömte mit der Trägheit eines müden alten Mannes dahin. Trotzdem hatten die Boote vom Morgengrauen bis zur Abenddämmerung wohl fünfzig Meilen zurückgelegt. Ihr Kurs führte südwärts, und nach vier Tagen wurde der Fluss breiter, an manchen Stellen bis zu zwei Meilen, und er schimmerte wie Metallblech unterm Himmelsgewölbe. Hero saß träge an seinem Riemen, nur hin und wieder korrigierte er leicht den Kurs.
Sie mäanderten durch ein Labyrinth aus Inseln und Sandbänken, trafen immer öfter auf Fischer und Holzfäller, die Balkenflöße stromab stakten. Sie hielten sich bei diesen Begegnungen nur lange genug auf, um zu erfahren, wie weit es noch bis Kiew war. Alle paar Meilen kamen sie nun an Dörfern vorbei, manchmal auch im Dunkeln, sodass sie ihre Existenz nur an einer läutenden Kirchenglocke, dem Schimmer eines Binsenlichts durch einen Türspalt oder der Stimme einer Mutter ablesen konnten, die ihre Kinder zum Abendessen rief. Immer schlugen sie ihr Lager in den Wäldern auf und am liebsten auf Inseln.
Nun, wo er mehr Muße hatte, begann Wayland, die Falken an den Umgang mit Menschen zu gewöhnen. Jeden Tag fütterte er sie auf seiner Faust, und weil diese Aufgabe viel Zeit in Anspruch nahm, ließ er sich von Syth helfen, zeigte ihr, wie die Falken mit dem Geschühriemchen und dem Fuß zwischen Daumen und Zeigefinger ausbalanciert wurden. Um den ausgewachsenen weißen Vogel allerdings kümmerte sich Wayland allein. Sein anderer Liebling war ein gedrungener Terzel, dessen Gefieder wie Zinn und Silber und Stahl zugleich schimmerte. Obwohl zahm, war dieser Vogel nicht so gefügig wie das weiße Falkenweibchen, das mit geradezu königlicher Haltung fraß, Wayland immer im Blick behaltend, sein bohrendes Starren immer noch so unvermittelt und wild wie an dem Tag, an dem er es gefangen hatte.
Wenn es das Wetter zuließ, setzte er die Falken jeden zweiten Morgen an der Langfessel auf einen Holzpfosten ans Ufer, damit sie baden konnten. Das taten sie nur selten, sondern versuchten stattdessen, ihr Geschüh abzustreifen. Der weiße Falke schien zu wissen, dass er seine Fesseln nicht loswerden konnte, und doch sehnte er sich nach Freiheit, duckte sich unter halb ausgebreiteten Schwingen und stieß sich zu einem sinnlosen Flugversuch ab, sodass sich Wayland jedes Mal innerlich wand.
Syth und er gingen täglich mit dem Kanu auf die Jagd und kehrten selten mit leeren Händen zurück. Bei jeder Flusskehre und in jeder Bucht paddelten Wasservögel herum oder hoben quakend zum Flug ab. Wayland machte Syth einen leichten Bogen aus einem abgelagerten Eibenast, den er in Nowgorod gekauft hatte. Er glättete das Holz mit einem Schweifhobel, der Raul gehört hatte. Als er fertig war, sah man im Querschnitt des D-förmigen Bogens vorne das blasse Splintholz für die Spannung und hinten das goldfarbene Kernholz, das den Druck abfing. Während er den Bogen baute, dachte Wayland an Raul – an seine geschickten Hände und die unglaublichen Kriegsgeschichten, die er bei der Arbeit erzählt, oder die immer phantastischeren Zukunftspläne, die er dabei geschmiedet hatte. Und wenn er an Rauls Tod dachte, musste er an den Hund denken. Dann wanderte sein Blick über die Bäume, als zöge der Geist des Tieres noch immer durch die Wälder. Nicht einmal Syth wusste, wie sehr er um den Hund trauerte. Während sie selbst bei der Nachricht von seinem Tod in Tränen ausgebrochen war, hatte Wayland sich gelassen
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