Der Thron der Welt
sich damit ab, Richard in der Haltung zu stabilisieren, in der er die geringsten Schmerzen hatte. Am nächsten Morgen waren die Kumanen verschwunden. Hero wechselte den Verband von Richards Wunde. Er hatte sie nicht vernäht, sodass das Wundsekret besser abfließen konnte. In der trüben Morgendämmerung erinnerte Richards Gesichtsfarbe an eine mehrere Tage alte Leiche, und seine Augen waren tief in die Höhlen gesunken.
Sie glitten durch die menschenleere Steppe. Am nächsten Tag konnte Richard eine Schale Brühe zu sich nehmen. Die Operationswunde bereitete ihm weniger Schmerzen als die inneren Verletzungen. Bei jedem Atemzug hatte er das Gefühl, als würde in seine Lunge eine Nadel gestochen und der Faden festgezogen. Eine gewisse Erleichterung brachte es ihm, wenn Blut aus der Wunde abgesaugt wurde, dann konnte er ein wenig schlafen. Nach drei Tagen wagte Hero zu hoffen, dass er es schaffen würde. Morgens, abends und nachts wechselte er den Verband. Die Wunde eiterte etwas, aber das war zu erwarten gewesen, und an den Wundrändern bildete sich erstes Granulationsgewebe.
Heros schwache Hoffnungen wurden am vierten Tag zunichtegemacht, als beim Wundabsaugen in erheblicher Menge eine übelriechende, eitrige Flüssigkeit austrat. Als es Abend geworden war, hatte Richard hohes Fieber und delirierte. Am nächsten Morgen hatten sich in der Wunde Gasbläschen gebildet, die das Boot in fauligen Gestank hüllten.
Am sechsten Tag erreichten sie die Mündung des Dnjepr und landeten auf der Insel St. Aitherios, die mehr als eine Meile von beiden Ufern entfernt im Fluss lag. Sie war etwa eine halbe Meile lang, flach und besaß bis auf ein paar Hügelgräber keine Besonderheiten. Das Gelände war vollkommen überschaubar, und so wussten sie, noch bevor sie an Land gegangen waren, dass niemand auf der Insel war. Sie fanden Überreste von Lagerfeuern und ein frisches Grab. Auf der Insel wuchsen keine Bäume, deshalb setzten sie Richard an einen Runenstein gelehnt hin, der zur Erinnerung an einen anderen Reisenden errichtet worden war, der auf der Straße zu den Griechen den Tod gefunden hatte. In bedrücktem Schweigen aßen sie zu Abend, während Hero bei Richard saß und darauf wartete, dass er starb.
Mitten in dieser Sterbewache kam Richard wieder zu Bewusstsein. «Hero?»
«Ich bin hier neben dir.»
«Die Schmerzen sind weg.»
«Das ist ein gutes Zeichen.»
«Morgen früh lebe ich nicht mehr. Sei nicht traurig. Denk an die schönen Zeiten, die wir zusammen erlebt haben. Denk daran, was ich verpasst hätte, wenn ich zu Hause geblieben wäre. Ich habe in den letzten acht Monaten genug erlebt für ein ganzes Leben. Ich habe so viel gesehen, so viel gelernt und auch erfahren, wie viel mehr es noch zu wissen gibt. Also bin ich zwar immer noch ein Dummkopf, aber ein Dummkopf, der Fragen stellen kann, auf die zehn weise Männern keine Antwort wissen.»
Im Licht der Sterne sahen seine Augen aus wie dunkle Schattenteiche.
«Ich wünschte, ich wäre bis zum Meer gekommen.»
Hero hielt ihn fest. «Wir
sind
bis zum Meer gekommen. Schau zu den Wolken hinauf. Da siehst du, wie sie das Licht vom Meer reflektieren.»
«Ich will hier nicht begraben werden. Diese Insel ist voller Geister. Sie sprechen zu mir. Ich will nicht mit ihnen zusammen sein. Wirf meine Leiche in den Fluss.»
Das waren Richards letzte Worte. Seine Atmung wurde zusehends schwächer. In diesem Augenblick kam Drogo dazu und legte Hero die Hand auf die Schulter.
«Ich will mit ihm reden.»
«Er kann dich nicht hören.»
«Es kommt auch mehr darauf an, was ich zu sagen habe.»
Hero ging ans Ufer und presste die Hände an die Schläfen. Niedrige Wellen liefen seufzend an den Strand. Er hörte Drogo murmeln, sein Monolog war von vielen Pausen unterbrochen, so als müsse er die Worte, die er zu sagen hatte, tief in sich suchen. Als er schließlich fertig zu sein schien, drehte sich Hero um und sah ihm entgegen.
«Er ist tot.»
«Ich hätte bei ihm sein sollen, als er gestorben ist.»
«Ich wollte mich mit ihm versöhnen.» Drogos Mund bebte. «Er war ein besserer Mann, als ich dachte, aber wenn man in einer Familie wie meiner aufwächst …» Er wandte sich mit zuckenden Schultern ab.
«Um dich mit Vallon zu versöhnen, ist es noch nicht zu spät.»
Drogo wirbelte wieder herum. «Richard hat mir nie etwas Böses getan. Aber Vallon …» Drogos Hand zuckte vor. «Dieser Mann hat mir alles genommen, was ich hatte.»
Am nächsten Morgen wickelten sie
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