Der Thron der Welt
einer verrauchten Schmiede. Sie folgten dem Graben bis zu einem Walddorf, das um eine Weide herum errichtet worden war. Seit dem Vormittag hatte es immer wieder geregnet, und Karrenräder hatten den Weg in ein Schlammfeld verwandelt. Der nachgiebige Untergrund machte den Reisenden die Schritte schwer. An den Türen einiger Cottages hingen Strohpuppen. Sie kamen an einer Gaststube vorbei, deren Schild einen Mann zeigte, der hinter Zweigen und Weinranken hervorgrinste. Bei näherem Hinsehen erkannte Vallon, dass das Laubwerk aus den Augen, der Nase und dem Mund spross.
Fröhlicher Lärm klang aus der Gaststube. Sehnsüchtig blickten Hero und Richard zu den erhellten Fenstern hinüber.
«Nicht sicher genug», sagte Vallon und stapfte weiter. Eine Schar Gänse stellte die Flügel auf und zischte ihn an. Als er schon beim nächsten Haus war, vernahm er über das Gelächter aus der Schänke hinweg eine vertraute Stimme. Stirnrunzelnd drehte er um und betrat das Gasthaus.
In dem Raum herrschte Gedränge, und niemand achtete auf ihn. Die Aufmerksamkeit aller galt einer Szene, die sich beim Feuer abspielte. Als er über die Schultern der anderen Gäste spähte, sah Vallon, dass Raul in der Mitte des Zuschauerkreises in die Hocke gegangen war. Seine Hand lag auf den Boden, und darauf stellte sich nun ein etwa zehnjähriger Junge. Rauls Gesicht verzerrte sich. An seinen Schläfen traten die Adern hervor. Langsam hob er den Jungen mit ausgestrecktem Arm bis auf die Höhe seiner gebeugten Knie. Dann sprang Raul mit einem Ruck auf die Füße und riss den Arm mit dem Kind bis über seinen Kopf hoch, sodass der Junge schließlich das Gleichgewicht verlor und herunterfiel. Raul fing ihn auf, stellte ihn auf die Füße und zerzauste ihm das Haar.
Vallon schob sich durch die klatschenden und pfeifenden Zuschauer. «Was zum Teufel treibst du da?»
Sofort wandten sich ihm sämtliche Blicke zu. Als die Leute Vallons Gesichtsausdruck und das Schwert an seiner Seite sahen, zogen sie sich zu ihren Biertischen zurück. Raul vollführte eine Art militärischen Gruß. Er war angetrunken.
«Hauptmann, ich habe als Dank für die Gastfreundschaft, die mir diese guten Seelen erwiesen haben, ein paar Kunststückchen vorgeführt.»
Vallon bemerkte in einer Sitznische Wayland. Der Hund lag mit angelegtem Maulkorb zu seinen Füßen wie eine monströse Siegestrophäe.
«Ich habe dir gesagt, dass du dich von Schänken fernhalten sollst.»
«Wir können uns nicht vor aller Welt verstecken. Jetzt, wo wir in einer friedlicheren Gegend sind, ist es sicherer, sich unauffällig unters Volk zu mischen.»
«Das nennst du dich unauffällig unters Volk mischen?»
Der Junge, der bei Rauls Kunststück mitgemacht hatte, brachte ihm einen Becher Ale. Raul prostete einem Mann am Tresen zu, der den Gastraum von den privaten Räumen des Gastwirts abtrennte. Der Mann hob ebenfalls seinen Becher. Vallon schätzte ihn ab. Mager und knochig, mit schmuddeliger grüner Weste, Beinlingen und Ohren, die durch wirre Haarsträhnen unter einer ledernen Kappe hervorstanden.
«Wer ist das?»
«Sein Name ist Leofric. Wir haben ihn auf der Straße kennengelernt. Er ist Köhler.»
«Was hast du ihm über uns erzählt?»
Raul zupfte an seinem Ohrring. «Ich habe ihm gesagt, wir gehörten zu einer Gauklertruppe.»
«Einer
was
?»
«Das sind Reisende, die bei Märkten und Festen für Unterhaltung sorgen. Ich habe ihm gesagt, wir hätten auf dem Land kaum etwas verdient und wären jetzt für die Osterfeiertage auf dem Weg nach London.»
«Und das war vermutlich dein Auftritt als Kraftmensch.»
Raul grinste. «Nicht schlecht, oder?» Er deutete auf Wayland. «Und das sind der Wolfsjunge und sein dressierter Hund. Er tut, was immer ihm der Wolfsjunge befiehlt.»
«Wayland ist stumm.»
«Das macht den Auftritt ja gerade zu so einem Erfolg.»
Hero, der inzwischen zu den beiden gestoßen war, verbiss sich das Lächeln. «Und welche Rolle habe ich?»
«Geschichtenerzähler», sagte Raul. «Hauptmann, Ihr seid der Schwertmeister, ein Held des Frankenreiches, der in Kastilien gegen El Cid gekämpft hat. Ihr nehmt es mit jedem Herausforderer auf, sogar mit drei auf einmal – einen Penny für jeden, der Euch schlägt.» Raul unterdrückte einen Schluckauf. «Natürlich werden keine echten Schwerter benutzt.»
Vallon schüttelte den Kopf über all diesen Unsinn, ging zu Wayland hinüber, schob sein Schwert unter den Tisch und ließ sich auf die Bank sinken. Sobald er sich
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