Der Thron der Welt
Familie erwiesen habt.»
«Also meinst du, ich sollte Walter dort verrotten lassen.»
«Das waren Eure eigenen Worte, Herr, als Ihr entdeckt habt, dass er über den Reichtum seiner Familie gelogen hat.»
«Ich hätte an seiner Stelle auch gelogen.»
«Bei allem Respekt, ich glaube Euch kein Wort.»
Vallon zischte: «Du hast keine Ahnung von den grausamen Wendungen, die das Leben nehmen kann. Du hast keine Ahnung davon, wie es ist, ein Gefangener zu sein. Du hast keine Ahnung davon, wie es sich anfühlt, wenn die Wochen zu Monaten werden, ohne dass man weiß, ob man seine Heimat jemals wiedersehen wird.»
«Ihr, Herr? Ein Gefangener?»
Vallon ließ sich auf sein Lager zurückfallen. «Die Geschicke des Krieges. Und jetzt schlaf. Bald wird es hell, und wir haben einen langen Tag vor uns.»
Hero legte sich wieder ins Stroh. Vallon wusste, was ihn beunruhigte. Sie waren nun beinahe ein halbes Jahr unterwegs, doch die eigentliche Reise hatte kaum begonnen.
«Dir fehlt dein Zuhause.»
«Nicht so sehr wie die medizinische Fakultät. Und wie steht es mit Euch, Herr? Heute Abend habe ich Euch zum ersten Mal von Eurer Heimat sprechen hören.»
«Ich habe keine Heimat mehr. Ich bin ein Ausgestoßener.»
«Ja, ich weiß. Aber davor.»
«Es gibt kein Davor.»
Vallon starrte in die Dunkelheit. Ein trauriges Lied über einen verbannten Ritter fiel ihm ein, der sich ein letztes Mal nach seinem Zuhause umdreht und die Türen offen stehen sieht, leere Fensterhöhlen, die Wohnhalle ausgeräumt, die Gehege und Stallungen verödet, die Pferde verschwunden, die Falken davongeflogen.
Er seufzte. Es gab kein Zurück. Ganz gleich, wie lange er reiste, die Straße würde ihn immer von dort wegführen.
«Herr, Ihr klingt schwermütig.»
«Es ist die Verdauung. Ich habe zu üppig gegessen.»
Einige Zeit verging. Vallon mochte sogar ein wenig eingedöst sein. Dann sagt er: «Erinnerst du dich an die letzten Worte deines Meisters?»
«Dass Ihr gesandt worden seid, um mir den Weg zu zeigen?»
Vallon stützte sich auf den Ellbogen auf. «Hat er das wirklich gesagt?»
«Das hat er gesagt, Herr.»
Vallon legte sich wieder hin. «Das habe ich aber nicht gemeint. Es war das, was er davor gesagt hat – etwas über das Geheimnis der Flüsse.»
«Er meinte Flüsse, deren Quelle und Mündung nicht bekannt sind. Es gibt einen Fluss in Asien, dessen Lauf er immer folgen wollte – ein Fluss, der in ein sagenhaftes Land führt. Aber Herr, ich wollte Euch etwas beichten, das …»
Doch Vallon war schon wieder in seine eigenen Gedanken versunken. «Ich habe darüber nachgedacht. Es gibt kein Geheimnis der Flüsse. Sie werden in den Bergen geboren, entspringen aus einer Quelle wie ein Baby dem Bauch der Mutter. Dann nehmen sie ihren ungestümen Lauf, mit nie versiegender Kraft rauschen sie dahin, aber einem bestimmten Ziel folgen sie nicht. Langsam werden sie dann tiefer, und ihr Verlauf wird stetiger. Sie werden breit und prächtig und stolz. Als Nächstes stocken sie und scheinen sich nicht recht entscheiden zu können, wohin es gehen soll, und manchmal verlieren sie sich in Nebengewässern. Und am Ende ist all ihre Kraft dahin, und sie verschmelzen mit dem Meer.»
IX
V ier Tage später erreichten sie die Ausläufer der Hügel. Von der letzten Erhebung aus ließen Vallon, Hero und Richard ihre Blicke Richtung Süden über ein großes Waldgebiet schweifen, das noch ins Winterkleid gehüllt war. An manchen Stellen stiegen Rauchfäden zwischen den Bäumen auf.
«Das muss Sherwood sein», sagte Vallon. «Raul sagt, es ist eines der letzten Rückzugsgebiete des englischen Widerstandes.»
«Wenigstens müssen wir dann nicht mehr die ganze Zeit nach Feinden Ausschau halten.»
«Im Gegenteil. Von jetzt an müssen wir ganz besonders aufmerksam sein. Seid bei jedem auf der Hut, mit dem wir es zu tun bekommen. Lasst euch nicht von einem falschen Lächeln täuschen. Ihr dürft niemandem vertrauen.»
Sie stiegen einen Weg mit ausgefahrenen Karrenspuren hinunter, in denen glitzernd das Wasser stand. Der Wald schloss sich um sie – gewaltige alte Eichen mit knotigen Wurzeln, deren zerfurchte Stämme sich in weiter Höhe zu enormen Kronen teilten. Die Bäume standen in großen Abständen, und der Boden zwischen ihnen war kaum bewachsen. Die Flüchtlinge blickten schweigend die verlassenen Wege entlang, die in alle Richtungen abzweigten.
Als sie einen Mühlgraben erreichten, ging in der dunstigen Luft die Sonne unter, flammend wie das Feuer in
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