Der Thron von Melengar: Riyria 1 (German Edition)
und stiller, als es das Kloster je gewesen war. Er vermisste sein Zuhause und die morgendlichen Gespräche mit Renian.
Alric hatte sein Versprechen gehalten. Der neue König von Melengar stellte ihm den Ladenraum und alles Material, das er zur Herstellung seiner Bücher brauchte. Von den Kosten war nie die Rede. Myron hätte froh sein sollen, aber er fühlte sich mit jedem Tag verlorener. Obwohl er mehr zu essen hatte als je zuvor und keinen Abt, der ihm Beschränkungen auferlegte, nahm er kaum etwas zu sich. Sein Appetit schwand im selben Maß wie sein Drang zu schreiben.
Am Anfang, als er in den Laden eingezogen war, hatte er sich noch verpflichtet gefühlt, die im Kloster verbrannten Bücher zu ersetzen, doch dann waren die Tage verstrichen, und er saß nur noch einsam und verwirrt da. Wie konnte er die Bücher ersetzen ? Sie fehlten ja nirgends, kein Regal stand leer, keine Bibliothek wartete darauf, wieder gefüllt zu werden. Was würde er tun, wenn er das Projekt je beendet hätte? Was würde er mit den Büchern machen? Was würde aus ihnen werden? Was würde aus ihm werden? Sie hatten kein Zuhause und er auch nicht.
Myron setzte sich in der Ecke auf den Holzboden, zog die Beine an die Brust und lehnte den Kopf an die Wand. »Warum musste ich als Einziger überleben?«, murmelte er in den leeren Raum. »Warum musste ich übrig bleiben? Warum bin ich mit diesem ewigen Gedächtnis bestraft, sodass ich mich an jedes Gesicht, jeden Laut, jeden Schrei erinnere?«
Wie gewöhnlich kamen Myron die Tränen. Da ihn ja niemand sah, ließ er ihnen freien Lauf. Er saß weinend im flackernden Kerzenschein in seiner Fußbodenecke und schliefbald ein.
Das Klopfen an der Tür schreckte ihn auf. Er konnte nicht lange geschlafen haben: Die Kerze brannte noch. Myron stand auf, ging zur Tür, öffnete sie einen Spalt und spähte hinaus. Draußen standen zwei Männer in dicken Wintermänteln.
»Myron? Lässt du uns rein, oder sollen wir hier erfrieren?«
»Hadrian! Royce!«, rief Myron und riss die Tür auf. Er umarmte Hadrian spontan, wandte sich dann Royce zu, zögerte und befand, dass der wohl einen Händedruck vorziehen würde.
»Lange nicht gesehen«, sagte Hadrian und trat sich den Schnee von den Schuhen. »Wie viele Bücher hast du schon fertig?«
Myron sah verlegen drein. »Ich muss mich erst einmal eingewöhnen, aber ich schreibe sie schon noch. Ist es hier nicht wunderbar?« Er bemühte sich, aufrichtig begeistert zu klingen. »Wie großzügig von Seiner Majestät, mir das alles zur Verfügung zu stellen. Das Pergament reicht jahrelang. Von den Tintenvorräten ganz zu schweigen! Wie Finiless schrieb: ›Mehr könnte man nicht erlangen, und leerte man auch die Welt bis auf den Odem der Zeit.‹«
»Dann gefällt es dir hier also?«, fragte Hadrian.
»O ja, es ist großartig. Mehr könnte ich mir wirklich nicht wünschen.« Die beiden Diebe wechselten einen Blick, den Myron nicht recht zu deuten wusste. »Kann ich euch etwas anbieten? Tee vielleicht? Der König ist so gut zu mir, ich habe sogar Honig zum Süßen.«
»Tee wäre nett«, sagte Royce.
Myron ging zum Ladentisch, der ihm als Aufbewahrungsort für derlei Dinge diente, und holte einen Topf hervor. »Und was macht ihr beide so spät noch draußen?«, fragte er und lachtedann über sich selbst. »Ach, für euch ist es ja vermutlich gar nicht so spät. Ich nehme an, ihr arbeitet um diese Zeit.«
»So etwas in der Art«, sagte Hadrian. »Wir kommen gerade von einem Ausflug nach Chadwick zurück. Wir sind auf dem Weg in die DORNIGE ROSE , wollten aber kurz hier vorbeischauen und dir die Neuigkeit überbringen.«
»Neuigkeit? Was für eine Neuigkeit?«
»Tja, ich dachte, es wäre eine gute Neuigkeit, aber jetzt bin ich mir da nicht mehr so sicher.«
»Warum?«, fragte der Mönch, während er Wasser in den Topf goss.
»Na ja, es hieße, dass du hier wegmüsstest.«
»Ach?« Myron drehte sich so jäh um, dass er etwas Wasser danebengoss.
»Hm, ja, schon, aber ich denke, wenn du wirklich so an diesem Ort hier hängst, könnten wir –«
»Weg wohin?«, fragte Myron aufgeregt; er stellte den Wasserkrug weg, vergaß den Tee.
»Tja, also«, begann Hadrian, »Alric hat uns doch gesagt, wir könnten als Lohn für die Rettung seiner Schwester fordern, was wir wollten, aber in Anbetracht der Tatsache, dass Arista ja vorher schon uns gerettet hatte, schien es nicht recht, Geld oder Land oder etwas ähnlich Eigennütziges zu verlangen. Da ist uns dann
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