Der tiefe Brunnen: Astrologie und Märchen (German Edition)
naheliegender Ansatz. Hier besteht die Möglichkeit, zu neuer Lebendigkeit und Lebensfreude zu finden mit Hilfe eines immer zuverlässigen Partners, nämlich des eigenen Körpers.
Die Maus
Eine kleine Geschichte, die sehr viel Jungfrau-Weisheit ausdrückt, erzählt von einem alten, ehrwürdigen Meister, der in seinem Tempel in tiefer Meditation versunken ist. Da kommt eine freche kleine Maus herein, die sich nichts dabei denkt, einfach den großen Zeh des ehrwürdigen Meisters anzuknabbern. Der ist empört und beschimpft die Maus: »Was bildest du kleines, niedriges Wesen dir eigentlich ein, mich bei meiner Meditation zu stören? Siehst du nicht, dass ich dabei bin, mich mit dem Göttlichen zu vereinigen?« Doch die Maus sagt nur: »Wie willst du dich denn mit dem Göttlichen vereinigen, wenn du nicht einmal mit mir einig wirst?«
Waage
Der Sonnenuntergang
Der indische Astrologe Kryananda empfiehlt verschiedene Meditationen, um sich in die Seele der Tierkreiszeichen einzufühlen. Für die Waage hat er folgendes Bild gefunden: »Setz dich ans Meer und konzentriere dich auf die Linie, wo Himmel und Meer sich begegnen. Gott ist nicht wie der Himmel und auch nicht wie das Meer, sondern wie die Linie, wo Himmel und Meer sich vereinigen.« Das Symbol für Waage stellt in Wirklichkeit keine Waagschalen dar, sondern die im Meer versinkende Sonne. Das passt zur Jahreszeitenentsprechung: Es ist der Beginn der dunklen Jahreshälfte. Wenn man die Waage-Stimmung nachempfinden möchte, kann man das am besten, wenn man sich bei Sonnenuntergang ans Meer setzt.
Das Zeichen Waage steht in seiner tiefsten Bedeutung für die heilige Hochzeit, die Versöhnung der Urgegensätze, egal ob man sie nun hell und dunkel, männlich und weiblich, Yang und Yin nennen mag. Das hat damit zu tun, dass der Eintritt der Sonne in Waage mit dem Herbstanfang und der Tagundnachtgleiche zusammenfällt. Im Jahreszeitenrhythmus bildet dieser Zeitpunkt die Mitte des astrologischen Jahres: Die helle Jahreshälfte ist vorbei, die dunkle Jahreshälfte steht bevor. Darin liegt der Ursprung des Waage-Symbols, und nicht etwa in einer Ähnlichkeit dieses Sternbilds mit einer Waage. Die sanfte, freundliche Energie, die der erste Herbstmonat ausstrahlt, wird von den meisten Menschen als sehr angenehm empfunden, und auch für die Augen sind die Farben der Natur in dieser Jahreszeit ein Fest. Zugleich herrscht eine melancholische Abschiedsstimmung. Die Vergänglichkeit ist zwar noch nicht so deutlich spürbar wie im Skorpion-Monat November, wenn die Bäume die Blätter loslassen und es noch düsterer wird, aber eine Ahnung davon ist schon vorhanden.
Es gibt ein sehr altes System, das den Tag in zwölf Doppelstunden aufteilt und sie dem Tierkreis zuordnet. Nach dieser Ordnung entspricht dem Frühlingszeichen Widder die erste Doppelstunde des Tages, von sechs bis acht Uhr morgens. (Im Frühling wird das Jahr geboren, so, wie frühmorgens der Tag geboren wird.) Das ist die Zeit, zu der der Bauer morgens aufsteht, die Ärmel hochkrempelt und sein Tagwerk in Angriff nimmt. Die Doppelstunde, die dem Waage-Prinzip zugeordnet wird, liegt in der Zeit nach Sonnenuntergang, von sechs bis acht Uhr abends. Das ist die Zeit, in der der Bauer sein Tagwerk vollbracht hat und sich auf seine alte Holzbank setzt, seine Pfeife anzündet und in aller Ruhe den Sonnenuntergang betrachtet. Das ist ein schönes Bild für Waage-Energie: Heiterkeit, innerer Frieden, Gelassenheit – eine ganz anders geartete Energie als die stürmische Frühlingsenergie des Gegenpols Widder.
Die Aufgabe der Waage
Waage hat den Auftrag, für ein Gleichgewicht zu sorgen, das der kosmischen Ordnung entspricht, Gegensätze zu versöhnen, auszubalancieren, für das rechte Maß zu sorgen, auf der persönlichen wie auf der kollektiven Ebene. Dabei geht es vor allem darum, Beziehung zwischen den Gegensätzen herzustellen. Die »heilige Hochzeit«, von der ich schon sprach, kann viele Gesichter haben, immer aber geht es um Versöhnung gegensätzlicher Pole.
Ein Waage-betonter Mensch kommt mit dem Bewusstsein auf die Welt, dass er nicht allein in diesem Universum ist, dass das Leben durch Begegnung, durch Bezogenheit auf ein Du erst sinnvoll und reich wird. Das macht ihn von vornherein zu einem sozialen Wesen, das im Bewusstsein des Wir lebt. Diese Gabe macht allerdings auch abhängig, denn wer sich so stark am Wir orientiert, der tut sich schwer mit dem Ich. Und wer so viel Wert auf Versöhnung, auf Gemeinsamkeit
Weitere Kostenlose Bücher