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Der tiefe Brunnen: Astrologie und Märchen (German Edition)

Der tiefe Brunnen: Astrologie und Märchen (German Edition)

Titel: Der tiefe Brunnen: Astrologie und Märchen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Riemann
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um einen Seitensprung, bei dem Hera ihren Mann erwischt hatte. Vermutlich hatte Zeus versucht, sich herauszureden, indem er sagte: »Ach, weißt du, bei uns Männern ist Sexualität sowieso nicht so intensiv wie bei euch Frauen. Uns bedeutet das gar nicht so viel wie euch.« Und Hera hatte vielleicht erwidert: »Du lügst, du willst das nur herunterspielen.« Also wurde Teiresias befragt, und der gab Zeus Recht. Er sagte, die Frau genieße bei der Sexualität neunmal so viel wie der Mann. Hera war entsetzt, weil Zeus durch Teiresias Recht bekommen hatte, und schlug ihn zur Strafe mit Blindheit. Zeus jedoch verlieh ihm die Gabe des inneren Gesichts, und Teiresias wurde ein berühmter Seher. Er spielte unter anderem in der Ödipus-Geschichte eine wichtige Rolle, wo er den Vatermord des Ödipus aufdeckte.

Das Paris-Urteil
    Eine andere Geschichte voller Waage-Motive ist die von Paris und Helena und wie der Trojanische Krieg anfing. Eris, die Göttin der Zwietracht, hatte eines schönen Tages einen Apfel in die Runde der Götter geworfen, auf dem stand: »Der Schönsten«. Natürlich brach sofort ein Streit los, wem der Apfel gebühre, und die erbittertsten Konkurrentinnen waren Hera, Athene und Aphrodite. Man brauchte einen Schiedsrichter, und die Wahl fiel auf den trojanischen Prinzen Paris. Als die drei Göttinnen voller Erwartung vor ihm standen und drängten, versuchte Paris es zunächst mit einem Waage-Manöver, denn er wusste, dass jede Entscheidung ihm den Zorn der beiden Verschmähten eintragen würde. Also wählte er den diplomatischen Weg: »Ihr seid alle drei gleich schön.« Doch damit gaben sich die Göttinnen nicht zufrieden, und sie versuchten, ihn zu bestechen. Hera nahm ihn beiseite und sagte: »Wenn du mich wählst, mache ich dich zum Herrscher über die Welt.« Athene raunte ihm zu: »Wenn du mich wählst, mache ich dich zum Sieger aller Kriege.« Doch dann kam Aphrodite und bot ihm an: »Wenn du mich wählst, vermähle ich dich mit der schönsten Frau der Welt.« Was interessiert einen Waage-Helden? Nicht Herrschaft und schon gar nicht Sieg in allen Kriegen – das überlässt er gern dem Gegenpol Widder -, aber die schönste Frau der Welt, das ist es, was ihn wirklich reizt. Nun war die schönste aller Frauen damals Helena, die Gattin des Königs Menelaos, und Aphrodite half Paris dabei, sie zu rauben. Doch was waren die Folgen? Der ganze Trojanische Krieg ist nur durch diese Spielerei entstanden. Wie viele Helden sind dafür gefallen, wie viel Unglück hat es gegeben, und das nur, weil der arme Paris sich entscheiden musste.
    An diesem Beispiel wird deutlich, was eine Entscheidung für Folgen haben kann. Und so kann man auch verstehen, warum Waage-betonte Menschen in scheinbar unbedeutenden nebensächlichen Lebenssituationen oft so große Probleme mit Entscheidungen haben. Sie sind sich eben über deren möglicherweise enorme Konsequenzen bewusst.

Das wissen die Götter
    Kehren wir wieder in die Welt der Märchen zurück. Schneewittchen ist schon wegen der Thematik »Wer ist die Schönste im ganzen Land?« ein Waage-Märchen. Es wirft auch die für Frauen wichtigen Fragen auf: »Durftest du als Tochter schön, erotisch, anziehend sein?« oder auch »Durftest du schöner sein als die Mutter?« oder »War die Mutter eifersüchtig auf dich?« Das schönste Märchen, das ich zu diesem Thema kenne, kommt jedoch aus China, einem Land, das traditionell dem Waage-Prinzip zugeordnet wird. Es heißt Das wissen die Götter , und ich möchte einige wesentliche Szenen aus diesem Märchen kurz erzählen.
    Am Anfang gibt es einen Tempel, in dem wird ein heiliges Pferd verehrt. Vor dem Tempel steht ein armes kleines Mädchen, und als das Pferd klagt, dass die Wärter ihm sein Bohnenbrot gestohlen hätten, sagt es: »Nimm mein Brot, vielleicht hilft es dir.« Das Pferd nimmt das Brot, ohne sich zu bedanken, und fragt ganz nebenbei: »Wer bist du?« Da sagt die Kleine: »Ich weiß es nicht.« Das Pferd fragt: »Woher kommst du?« »Ich glaub, ich fiel vom Mond.« »Und wer passt auf dich auf?« »Ich selber.« Es entsteht ein wunderschöner Dialog zwischen dem Pferd, das das männliche Element verkörpert, und dem Mädchen, das für das Weibliche steht. Im Lauf des Gesprächs merken die beiden, dass sie im Grunde sehr unglücklich sind, denn das Mädchen ist arm und allein, und das Pferd wird zwar bewundert und hoch angesehen, aber es fühlt sich gefangen in dem Tempel. Das Pferd schlägt vor, die Plätze zu

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