Der tiefe Brunnen: Astrologie und Märchen (German Edition)
Gespräch fand in dem Zimmer statt, das sich meine Eltern als Töpferwerkstatt eingerichtet hatten. Als ich den kleinen Jungen, der Mond in Skorpion hatte, freundlich begrüßte, sah er mich mit seinen Adleraugen durchdringend an, als wollte er wissen, was sich hinter der Maske des freundlichen Onkels verbarg. Daraufhin ging er zielsicher zu der schönsten Vase, die mein Vater selbst getöpfert hatte, und warf sie nicht etwa auf den Boden (das wäre eher Widder-typisch gewesen), sondern berührte sie mit den Fingern und begann sie ganz langsam zu kippen, ohne den Blick von mir zu wenden. Diese geniale Provokation wirkte sofort, sodass ich ihn anbrüllte: »Lässt du deine Pfoten da weg!« Ich erschrak über mich selbst, weil ich erwachsener Mann ein kleines »unschuldiges« Kind so behandelt hatte. Der Kleine hingegen war hoch zufrieden. Er war keineswegs eingeschüchtert, sondern spielte und malte brav für den Rest der Besprechung, ohne uns auch nur ein Mal zu stören. Ich bin sicher, hätte ich »pädagogisch« reagiert, mit vielen Erklärungen, wären wir zwei Stunden lang von ihm terrorisiert worden. Skorpion-betonte Kinder fordern in der Regel den Schatten des Umfeldes heraus – ein großes Problem für »heilige« Eltern.
Kleine Skorpion-Kinder haben eine starke frühkindliche Sexualität und eine große Neugier, was Sexualität betrifft, und deshalb ist es sehr positiv, wenn die Mutter selbstverständlich mit Körper und Sexualität umgeht und das Kind seine Doktorspiele machen lässt. Je verklemmter die Mutter jedoch ist, je mehr sie sich hinter einer Maske verbirgt, desto schwieriger ist es für das Kind. Sich nackt zeigen heißt ja auch, sich gefühlsmäßig offenbaren. Eine Mutter, die ihrem Kind beibringt, wie man seine Gefühle intensiv und authentisch lebt, die weint, wenn sie traurig ist, schreit, wenn sie wütend ist, lacht, wenn sie sich freut, die ihr Leben intensiv auskostet, ist für so ein Kind lebenswichtig. Der Maßstab des Skorpions ist: lebendig oder tot. Und Lebendigkeit hat hier auch sehr stark mit sexueller Lebendigkeit zu tun.
Für Menschen mit Skorpion-betonter Kindheit wäre es im Hinblick auf ihre Entwicklung interessant, sich zu erinnern, wie sie ihre Eltern als sexuelle Wesen wahrgenommen haben. Haben diese ihren Körper bewohnt, waren sie leidenschaftlich oder eher grau, unlebendig, Neutren. Das Letztere ist für die spätere Identität eines Skorpions ein Problem, und hier bedeutet der Abschied von den Eltern, die eigene Sexualität zu entwickeln, die eigene Lust zu bejahen.
Skorpion-Mond-Kinder haben oft eine seltsame Ambivalenz, was den Keller betrifft, wörtlich wie symbolisch. Sie fühlen sich von dieser dunklen Welt magisch angezogen, und gleichzeitig sterben sie vor Angst tausend Tode. Das erwartungsvolle Zittern, wenn man die dunkle Kellertreppe hinabsteigt, oder die Neugier auf den gruseligen Film, dessen Anblick man dann gar nicht aushält, das sind typisch plutonische Erlebnisse aus der Kindheit. Je selbstverständlicher schon in der Kindheit die Erfahrung ist, dass zum Persönlichkeits-Haus auch der Keller gehört, desto besser. Dann kommt es nicht so weit wie bei dem Mädchen in Frau Trude , das völlig unvorbereitet in das Hexenhaus gerät – unvorbereitet, weil vermutlich im Elternhaus dieses kleinen Mädchens Hexen-Energie überhaupt nicht existieren durfte.
Damit kommen wir wieder zu dem kollektiven Problem, das vor allem für Frauen immer noch äußerst belastend ist: die Spaltung des großen Weiblichen in Maria und Hexe, Himmelskönigin und UnterweltGöttin, Marienkinder und Hexenmädchen. Gerade Skorpion-betonte Frauen aus unserer Eltern-, Großeltern-, Urgroßelterngeneration hatten es oft entsetzlich schwer, denn immer wenn sie ihre Hexen-Energien entfalteten, wenn sie sexuelle Neugier entwickelten, die Verführerin in sich entdeckten, war das ganz schlimm und böse, und sie mussten sich schämen. Solche Kinder haben oft erlebt: Wenn ich so bin, wie ich wirklich bin, bin ich zu schwierig, zu gierig, zu anstrengend, zu problematisch, auf alle Fälle immer etwas, was mit dem Wort »zu« beginnt – nur nicht in Ordnung.
Als Konsequenz haben viele dieser leidenschaftlichkraftvollen Hexenfrauen sehr früh gelernt, ihre Energien zu unterdrücken. Die Energie entlädt sich dann oft in Form von Migräne – der Orgasmus im Kopf, wie man sagt – oder im Extremfall in der Selbstzerstörung durch Krebs. In der Skorpion-Symbolik heißt das, den Stachel gegen sich
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