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Der Tiger im Brunnen

Der Tiger im Brunnen

Titel: Der Tiger im Brunnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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war zwar ihr richtiger Name, auf den sie aber nie gehört hatte seit dem Tag, an dem sie ihrem Vater verkündet hatte, sie sei Sally und höre künftig auf keinen anderen Namen. Aber … die Ehe geschlossen? Jemand behauptete mit ihr verheiratet zu sein?
    Sie las weiter:
     
    Kläger und Beklagte waren zuletzt wohnhaft in der Telegraph Road 24 in Clapham.
    Der Kläger hat seinen ständigen Wohnsitz in England, ist von Beruf Kommissionär und wohnt in der Telegraph Road 24, Clapham. Die Beklagte ist von Beruf Finanzberaterin und wohnt in Orchard House, Twickenham.
    Aus der Ehe ist ein Kind hervorgegangen, eine Tochter namens Harriet Rosa …
     
    Sally legte das Blatt beiseite.
    »Das ist ja blanker Unsinn«, rief sie. »Da erlaubt sich jemand einen Scherz mit mir.«
    Sarah-Jane schaute sie an. Sally las die Frage in ihrem Gesicht.
    »Ich werde auf Scheidung verklagt«, sagte sie und lachte. Aber es war nur ein kurzes Lachen und Sarah-Jane verzog keine Miene.
    »Das ist ein teurer Spaß, wenn man sich dafür solche Umstände macht«, sagte das Kindermädchen. »Sie sollten besser gleich alles lesen.«
    Sally nahm sich das Blatt noch einmal vor. Ihre Hände zitterten. Ungläubig starrte sie auf den juristisch verklausulierten Text und gelangte zu einem langen Abschnitt mit der Überschrift Ergänzungen.
    Was dann kam, war leicht zu verstehen, aber im Grunde unfassbar. Es ging um die Geschichte einer Ehe, die es nie gegeben hatte. Danach hatten Sally und dieser Mr Parrish also geheiratet, waren nach Clapham gezogen und hatten ein gemeinsames Kind, Harriet (dessen Geburtsdatum wiederum richtig angegeben wurde). Sally habe ihren Gatten absichtlich und fortgesetzt herzlos behandelt und dessen Geschäftspartner und Gäste mit Hohn und Spott überschüttet. Schließlich habe er erkennen müssen, dass er keinen Besuch mehr nach Hause einladen könne, da sich seine Frau gegenüber den Gästen an keine Höflichkeitsregel gebunden fühlte. Dann habe sie zu trinken begonnen und sich mehr als einmal in alkoholisiertem Zustand in der Öffentlichkeit gezeigt (Einzelheiten mit Zeugenliste befänden sich im Anhang). Sie habe die Dienstboten schikaniert und nacheinander drei Dienstmädchen fristlos gekündigt (Namen und Adressen ebenfalls im Anhang). Sie habe das Geld, das ihr Gatte ihr zur Verfügung gestellt hatte, missbräuchlich verwendet und entgegen dessen ausdrücklichem Wunsch ein eigenes Geschäft gegründet. Immer wieder habe er vorsichtig versucht sie zur Vernunft zu bringen und sie zu schicklichem Betragen angehalten. Dann, kurz nach der Geburt des gemeinsamen Kindes, habe sie das Haus verlassen und die Tochter mitgenommen. Sie sei nicht geeignet, das Sorgerecht für das Kind zu übernehmen, da sie regelmäßig mit Personen fragwürdigen Lebenswandels Umgang habe. So lebe sie in einem Haus mit zwei unverheirateten Männern (namentlich bekannt). Und so weiter und so fort. Es folgten fünf eng beschriebene Seiten. Nachdem sie zwei davon überflogen hatte, musste sie die Blätter beiseitelegen.
    »Ich kann das nicht glauben«, brachte sie nur mit Mühe hervor. Sie schleuderte Sarah-Jane das Schreiben hin und sprang auf. Während Sarah-Jane den Text durchlas, ging Sally zum Ende des Obstgartens, riss ein paar Blätter von einem Apfelbaum und zerrieb sie zwischen den Fingern. Sie hatte den Eindruck, es habe sich jemand in ihr Leben geschlichen und alles besudelt. Dass jemand einen solchen Haufen schmutziger Lügen über sie schreiben konnte – das war doch nicht möglich. Sie konnte es einfach nicht fassen.
    Doch das dicke Ende kam erst noch. Sally hörte einen Ausruf des Erschreckens und eilte zurück.
    Sarah-Jane hielt ihr den letzten Teil des Schriftsatzes hin. Er war mit Klageantrag überschrieben.
    Sally nahm das Blatt und setzte sich. Sie fühlte sich schwach auf den Beinen.
    Der Text lautete:
     
    Der Kläger beantragt daher Folgendes:
    dass die Ehe aufgelöst wird;
    dass der Kläger unverzüglich das Sorgerecht für das Kind, Harriet Rosa, erhält;
    dass …
     
    Das war zu viel. Sally wollte nicht mehr weiterlesen. Ein Unbekannter, dieser Parrish, ein Lügner und Wahnsinniger, wollte ihr das Kind wegnehmen.
    Nur ein paar Schritte von ihr entfernt saß Harriet im Gras und zupfte an einem Tau-Ende herum, das Webster ihr einmal gegeben hatte. Nun versuchte sie die Garne wieder zusammenzubekommen. Teddybär Bruin lag vergessen neben ihr. Harriet war ganz versunken in ihr Tun, fasziniert von diesem Tau-Ende. Sally stand

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