Der Tod auf dem Nil
Liebesleben einer modernen Frau. Die Adjektive lauteten: «Unerschrocken, unkonventionell, lebensecht».
Poirot machte noch eine Verbeugung und murmelte: «Ich fühle mich geehrt, Madame.» Als er den Kopf wieder hob, traf sein Blick den der Tochter der Autorin, und er fuhr unwillkürlich zusammen vor lauter Überraschung und Bekümmerung über den Schmerz, den er darin sah.
Genau in diesem Augenblick kamen die Getränke und sorgten für eine willkommene Ablenkung. Poirot hob galant sein Glas. «A votre santé, Madame – Mademoiselle.»
Mrs. Otterbourne nippte ihren Zitronensaft und brummte: «So erfrischend – köstlich!»
Dann saßen alle drei da und starrten schweigend hinab auf die glänzenden schwarzen Felsen im Nil. Im Mondlicht bekamen sie etwas Fantastisches; sie sahen aus wie halb aus dem Wasser ragende prähistorische Riesenungeheuer. Eine kleine Bö kam plötzlich auf und erstarb ebenso schnell wieder. Es lag etwas in der Luft – etwas Heimliches, Dräuendes.
Hercule Poirot drehte sich wieder zur Terrasse und den Gästen. Irrte er sich oder herrschte hier dieselbe heimliche, erwartungsvolle Spannung? Es war wie im Theater, der Augenblick, in dem man weiß, dass gleich die Hauptdarstellerin die Szene betritt.
Und genau in diesem Augenblick flog wieder die Schwingtür auf, und diesmal war es, als sei das von besonderer Bedeutung. Alle hatten aufgehört zu reden und starrten auf die Tür. Heraus trat ein schlankes, dunkelhaariges Mädchen in einem weinroten Abendkleid, blieb kurz stehen, schritt dann gemessen über die ganze Terrasse und nahm an einem leeren Tisch Platz. Nichts an ihrem Verhalten war übertrieben oder abwegig, und trotzdem wirkte es wie ein wohl überlegter Bühnenauftritt.
«Nun ja», Mrs. Otterbourne warf Kopf und Turban nach hinten, «scheint sich ja für etwas ganz Besonderes zu halten, das Mädchen!»
Poirot sagte nichts, sondern beobachtete die Szenerie. Das Mädchen hatte sich an einen Tisch gesetzt, von dem aus sie Linnet Doyle in aller Ruhe ansehen konnte. Und die, stellte Poirot fest, beugte sich jetzt vor, sagte etwas, stand einen Augenblick später auf und wechselte den Platz. Nun saß sie mit dem Gesicht in die andere Richtung.
Poirot nickte in sich hinein und dachte nach.
Etwa fünf Minuten später wechselte auch das andere Mädchen die Stellung und nahm am anderen Ende der Terrasse Platz. Dort blieb sie sitzen, rauchte und lächelte vor sich hin, ein Bild zufriedener Nonchalance. Nur ihr Blick blieb, scheinbar ganz unabsichtlich, auf Simon Doyles Frau fixiert.
Eine Viertelstunde später stand Linnet Doyle abrupt auf und ging ins Hotel. Ihr Mann folgte fast augenblicklich.
Jacqueline de Bellefort lächelte weiter und drehte ihren Stuhl. Dann zündete sie sich noch eine Zigarette an und sah, weiter in sich hineinlächelnd, hinaus auf den Nil.
Viertes Kapitel
« M onsieur Poirot.»
Poirot sprang eilig auf. Er war allein auf der Terrasse sitzen geblieben, nachdem alle anderen Gäste hineingegangen waren, und hatte in Gedanken versunken auf die schimmernden schwarzen Felsen gestarrt, als der Klang seines Namens ihn wieder zurückholte.
Die Stimme ließ auf Kultiviertheit und Selbstbewusstsein schließen, eine charmante Stimme, eine Spur arrogant vielleicht.
Gleich darauf sah er Linnet Doyle in die Augen. Ihr Blick war zwingend, sie trug einen schweren roten Samtumhang über dem weißen Satinkleid und sie war noch schöner und majestätischer, als Poirot für möglich gehalten hätte.
«Sie sind doch Monsieur Hercule Poirot?» Es war nicht unbedingt eine Frage.
«Zu Ihren Diensten, Madame.»
«Sie wissen vielleicht, wer ich bin?»
«Ja, Madame. Ich habe von Ihnen gehört. Ich weiß genau, wer Sie sind.»
Linnet nickte. Sie hatte es erwartet. Sie fuhr in ihrer charmanten, selbstbewussten Art fort: «Würden Sie mir ins Spielzimmer folgen, Monsieur Poirot? Ich muss dringend mit Ihnen sprechen.»
«Aber sicher, Madame.»
Sie lief voran, zurück ins Hotelgebäude. Er folgte. Sie ging in das leere Spielzimmer und bedeutete ihm, die Tür hinter sich zu schließen. Dann sank sie auf einen Stuhl an einem der Spieltische und er nahm ihr gegenüber Platz.
Ohne Umschweife kam sie zur Sache. Sie sprach flüssig und ohne zu zögern. «Ich habe sehr viel über Sie gehört, Monsieur Poirot, ich weiß auch, dass Sie ein kluger Mann sind. Und zufällig brauche ich dringend jemanden, der mir hilft – ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass Sie dieser Jemand
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