Der Tod auf dem Nil
Poirot tauschten einen kurzen Blick.
«Und dann?», drängte Race.
«Sie ging in Richtung Heck und ich zurück ins Bett.»
Es klopfte und der Manager trat mit einem tropfenden Bündel in der Hand ein. «Wir haben sie, Colonel.»
Race nahm das Päckchen, wickelte Schicht um Schicht klitschnassen Samt ab, und heraus fiel ein grobes Taschentuch mit blassrosa Flecken, in das eine kleine Pistole mit Perlmuttgriff gewickelt war. Race warf Poirot einen leicht maliziösen, triumphierenden Blick zu. «Sehen Sie», sagte er, «ich hatte die richtige Idee. Sie ist über Bord geworfen worden.»
Er legte die Pistole auf seine Handfläche und hielt sie ihm hin. «Was sagen Sie, Monsieur Poirot? Ist dies die Pistole, die Sie in jener Nacht im Hotel Cataract gesehen haben?»
Poirot untersuchte sie sorgfältig; dann sagte er leise: «Ja – das ist sie. Da sind die eingearbeiteten Ornamente – und da sind auch die Initialen J.B. Es ist ein article de luxe, ein sehr femininer Gegenstand zwar, aber trotzdem eine tödliche Waffe.»
«Zweiundzwanzig», murmelte Race. Er zog das Magazin heraus. «Zwei Kugeln abgefeuert. Tja, da gibts wohl kaum noch einen Zweifel.»
Miss Van Schuyler hüstelte bedeutungsvoll. «Und was ist mit meiner Stola?»
«Ihrer Stola, Mademoiselle?»
«Ja, das da ist meine Samtstola.»
Race hob die triefenden Stoffschichten hoch. «Die gehört Ihnen, Miss Van Schuyler?»
«Sicher gehört sie mir!», schnappte die alte Dame. «Gestern Abend habe ich sie schon vermisst. Ich habe alle gefragt, ob sie sie gesehen haben.»
Poirot sah Race fragend an und der nickte zustimmend.
«Wo hatten Sie sie zuletzt gesehen, Miss Van Schuyler?»
«Ich hatte sie bei mir im Salon gestern Abend. Als ich zu Bett gehen wollte, konnte ich sie nirgends finden.»
Rasch sagte Race:
«Sie begreifen, wofür sie benutzt wurde?» Er breitete die Stola aus und deutete auf die versengte Stelle und etliche kleine Löcher. «Der Mörder hat sie um die Pistole gewickelt, um den Krach des Schusses zu ersticken.»
«Frechheit!», schnappte Miss Van Schuyler. Die Farbe ihrer welken Wangen wurde kräftiger.
Race fuhr fort: «Ich wäre Ihnen dankbar, Miss Van Schuyler, wenn Sie mir erzählen würden, in welchem Ausmaß Sie mit Mrs. Doyle schon vorher bekannt waren.»
«Ich war vorher nicht mit ihr bekannt.»
«Aber Sie wussten von ihr?»
«Ich wusste selbstverständlich, wer sie war.»
«Aber Ihre Familien waren nicht miteinander bekannt?»
«Unsere Familie hat stets sehr auf Exklusivität gehalten, Colonel Race. Meine liebe Mutter hätte sich nicht im Traum mit irgendjemandem von der Familie Hartz abgegeben, das waren, abgesehen von ihrem Geld, Niemande.»
«Das ist alles, was Sie dazu zu sagen haben, Miss Van Schuyler?»
«Ich habe dem nichts hinzuzufügen. Linnet Ridgeway wuchs in England auf und ich habe sie nie gesehen, bevor ich dieses Schiff betrat.» Sie erhob sich.
Poirot hielt ihr die Tür auf und sie rauschte hinaus. Die beiden Männer sahen sich an.
«Das ist ihre Geschichte», sagte Race, «und an der wird sie festhalten! Vielleicht stimmt sie ja. Ich weiß es nicht. Aber – Rosalie Otterbourne? Damit hatte ich nicht gerechnet.»
Poirot schüttelte immer wieder verblüfft den Kopf. Plötzlich ließ er die Hand mit einem Peng auf den Tisch sausen. «Aber das ergibt alles keinen Sinn», schrie er. «Nom. d ’ un nom d ’ un nom! Das ergibt keinen Sinn.»
Race sah ihn an. «Was meinen Sie genau?»
«Ich meine, dass bis zu einem bestimmten Punkt alles klar Schiff ist. Jemand wollte unbedingt Linnet Doyle umbringen. Jemand hat die Szene gestern Abend im Salon mit angehört. Jemand hat sich hineingestohlen und die Pistole geholt – Jacqueline de Belleforts Pistole, nicht zu vergessen. Jemand hat Linnet Doyle mit dieser Pistole erschossen und den Buchstaben J an die Wand geschrieben… Alles ganz klar, nicht wahr? Alles deutet auf Jacqueline de Bellefort als Mörderin. Und was macht der Mörder dann? Lässt die Pistole – die belastende Pistole – Jacqueline de Belleforts Pistole da liegen, wo sie jeder finden kann? Nein, er – oder sie – wirft die Pistole, dieses besonders belastende Beweisstück, über Bord. Warum, mein Freund, warum?»
Race schüttelte den Kopf. «Das ist merkwürdig.»
«Es ist mehr als merkwürdig – es ist unmöglich!»
«Unmöglich nicht, es ist ja passiert!»
«Das meine ich nicht. Ich meine die Abfolge der Ereignisse, die ist unmöglich. Daran ist etwas falsch.»
Siebzehntes
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