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Der Tod des Landeshauptmanns

Der Tod des Landeshauptmanns

Titel: Der Tod des Landeshauptmanns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eugen Freund
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Tagebuch, auch wenn er schon Jahrzehnte nichts mehr hineingeschrieben hatte. Auf dem mittlerweile stark in Mitleidenschaft gezogenen, aufgeklebten Titelblatt konnte man – mit einiger Fantasie – „Austria1945“ entziffern. Aber Joshua wusste ohnehin, was darin zu finden war. Er hatte sich während seiner Zeit als Besatzungssoldat in Österreich immer wieder Notizen gemacht – alles, was ihm wesentlich erschien, hatte er in diesem Büchlein festgehalten. Mit feiner Bleistiftmine war Seite für Seite gefüllt mit Berichten, tagebuchartigen Eintragungen, Nachrichten der BBC oder der „Voice of America“ – Englisch und Deutsch wechselten ständig ab.
    Joshua Krimnick blätterte wahllos, auf Seite 30 blieb er zufällig beim 5. Juli hängen: „Die Stimme Amerikas, Amerika ruft Österreich, meldet um 18 Uhr 45: In Österreich wird nach dem Muster Deutschlands eine interalliierte Besetzung durchgeführt werden, aber Österreich wird als befreites und nicht als besiegtes Land behandelt werden …“ Ein paar Seiten weiter stieß er auf das Datum August 15, 1945. „Japanese surrender was simultaneously announced 9 hours ago in London, Moscow, New York, and Hongkong …“ Joshua war sicher, dass er unter diesen Eintragungen etwas finden würde, was ihm weiterhelfen würde.
    Und tatsächlich: Auf Seite 58 – die Seitenzahlen hatte er selbst hineingeschrieben – fand er eine Eintragung: „Interrogation of POWs“ („Einvernahme von Kriegsgefangenen“), und da stockte ihm der Atem: Neben dem Vornamen Robert war in Blockbuchstaben der Name Haider zu lesen. Feinsäuberlich hatte sich Joshua Krimnick damals notiert, dass besagter Haider an der Ostfront tätig gewesen war, seine 45. Infanteriedivision war in schwere Kämpfe mit russischen Soldaten verwickelt, sie hatten Häuser niedergebrannt, Partisanen erschossen, Brunnen verseucht, Brücken gesprengt, Straßen vermint. Trotz einer Verwundung kämpfte Robert Haider noch in den letzten Kriegstagen im Böhmerwald. Kurze Zeit danach wurde er von den Alliierten verhaftet. Joshua Krimnick war es, der Haider verhört hatte, er vermutete, dass dieser an Kriegsverbrechen beteiligt war, aber Beweise hatte er keine gefunden und zum damaligen Zeitpunkt waren die „kleinen Fische“ nicht interessant genug.
    Eines wusste Joshua: Er musste herausfinden, ob es zwischen dem „Jörg“, von dem in diesen Tagen so viel in den Zeitungen zu lesen war, und „Robert“ eine Verbindung gab. Und dann wollte er auch David von seiner Entdeckung erzählen, irgendwann, wenn Emily nicht dabei war, sie wollte von den Kriegsgeschichten einfach nichts mehr hören.

J ASMIN WAR WIEDER ZUHAUSE , hatte sich ein Glas Rotwein eingeschenkt, in der Hoffnung, ein wenig Alkohol würde ihre Nerven beruhigen. Ihr war das Ganze mehr als unheimlich. Stefan hatte sich seit seinem Verschwinden nicht mehr gemeldet, ihre Anrufe blieben unbeantwortet. Doch sie erhielt regelmäßig per E-Mail diese Fragmente von Schriftstücken, die auch seinen Absender trugen. Doch wenn sie ihm zurückschrieb, bekam sie wenige Minuten später ein Mail mit dem Hinweis, der Adressat sei nicht zu erreichen. Eines fiel ihr freilich langsam auf: Sie war mit Stefan nicht nur gemeinsam in die USA aufgebrochen und hatte dabei auch Washington besucht (jetzt erkannte sie auch vieles in den Schriftstücken wieder, das ihr damals an seinem Verhalten ein wenig seltsam vorgekommen war), sie hatten auch in Poreč gemeinsam Urlaub gemacht. Natürlich waren sie auch mit dem Motorboot unterwegs gewesen, freilich nicht mit einer so eleganten Jacht, wie sie jetzt im Zusammenhang mit Jörg Haider beschrieben wurde. Aber sie erinnerte sich, wie genau Stefan die Hafenstadt erkundet hatte. Fast jeden Tag waren sie vom Laguna Park, der etwas außerhalb der Altstadt lag, entweder zu Fuß oder mit dem Fahrrad in die Stadt gefahren, hatten sich am Vormittag in eines der Caféhäuser an der Ulica Mate Bernobića gesetzt und dort die reichen Deutschen oder Engländer bewundert, die mit ihren eleganten Schiffen direkt an den Docks der Uferstraße anlegten und sich gelegentlich einen Aperitif aus dem Lokal auf Deck bringen ließen. Sie hatte sich auch gewundert, dass Stefan nicht einfach am Strand liegen wollte, sondern sie immer wieder zu Spaziergängen in die Stadt überredete – und wenn sie einmal Nein sagte, dann machte er sich eben alleine auf den Weg. Natürlich war sie von den jahrhundertealten Gebäuden auch entzückt – eines hatte es ihr

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