besonders angetan: Sie konnte sich an den Straßennamen nicht mehr erinnern, aber es war rosa gestrichen und – was noch auffälliger war – die eine Ecke des Hauses war nicht eckig, sondern richtig rund gemauert.
Während sie darüber nachzudenken begann, wohin sie mit Stefan noch überall gereist war und ihr gerade der Flughafen Wien-Schwechat einfiel, von wo aus sie …, hörte Jasmin plötzlich ein Geräusch. Es kam von der Eingangstür. Doch noch ehe sie allen Muskeln den Befehl geben konnte, die entsprechenden Bewegungen auszuführen, damit sie von der Couch aufstehen und nachsehen konnte, wer da an der Tür hantierte, fiel das Licht aus. Es war sofort stockdunkel. Jasmin hielt den Atem an. Sie würde sich zwar auch im Dunkeln zurechtfinden, schließlich war die Sicherung oft genug durchgebrannt und sie musste sich dann ins Vorzimmer vortasten – aber diesmal war alles anders: Sie spürte, dass zumindest eine Person in ihrer unmittelbaren Nähe war.
Kurz schoss ihr eine Überlegung durch den Kopf: Sollte sie sich unter den Couchtisch rollen? Eher links davon oder lieber rechts Richtung Schlafzimmer wegschleichen? Oder vielleicht doch hinter sich das Fenster öffnen? Doch da war es schon zu spät: Eine kräftige Hand schlang sich um ihren Oberkörper, hielt ihre beiden Arme fest, während ihr die andere Hand den Mund zuhielt. „Kein Wort, oder du bist tot!“, zischte eine verhaltene Männerstimme in ihr Ohr. Dann bog der Mann ihre Arme nach hinten, sie spürte, wie ein Seil um ihre Handgelenke geschnürt wurde. Kurz nahm der Unbekannte seine Hand von ihrem Mund und sie dachte schon, dass er ihr nun eine Frage stellen würde. Aber er sagte nichts mehr, sie hörte, wie er einen Klebestreifen abzog und ihr in Sekundenschnelle den Mund und danach die Augen zuklebte. Dann zog er sie hoch, schob sie vor sich her durch die Wohnung, machte die Tür auf – am Geräusch konnte sie erkennen, dass er nun vor ihr stand und offensichtlich in den Gang hinausblickte – und nach ein paar schnellen Schritten waren sie draußen auf dem Parkplatz. Im selben Moment, sie wusste nicht, wie ihr geschah, stand sie nicht mehr aufrecht; der Mann hatte sie um die Schultern und unter den Oberschenkeln gefasst, hochgehoben und in einen Kofferraum fallen lassen. So kam es ihr jedenfalls vor, sie spürte den Geruch von etwas Öligem, der Filzbelag kratzte an ihrer Haut, und schon schloss sich mit einem satten Klang der Deckel.
Von:
[email protected] An:
[email protected] Jerusalem, Außenministerium, dritter Stock, Westeuropa-Abteilung. Im Konferenzraum saßen zwei Männer: Avner Fohlt, untersetzt, schon deutlich über fünfzig, die wenigen Haare an den Schläfen grau und kurz geschoren, die Brille tief auf der Nase, und Yossi Galem, Mitte dreißig, schwarzhaarig, deutlich größer als sein Sitznachbar, mit einem auffälligen Blutschwamm, der auf seiner rechten Wange leuchtete wie eine halbierte Rotzwiebel. Neben ihnen stand Rachel Hagev, sie war noch keine dreißig, hatte dunkelrotes, mittellanges Haar und war gerade dabei, sich Augentropfen einzuträufeln. „Die Kontaktlinsen, Sie verstehen“, sagte sie mit einem gequälten Lächeln und sah dabei in die Runde, so gut es ihr nach oben gehaltener Kopf zuließ. Vor ihnen war ein Konferenztisch, auf dem zahlreiche einzelne Papiere und Mappen lagen. Auf einigen war „Austria“ zu lesen, auf anderen wiederum stand „Jörg Haider“. Avner Fohlt hatte mehrere Jahre als politischer Direktor an der israelischen Botschaft in Wien gearbeitet, er sprach fast akzentfrei Deutsch. Seine Mutter war als Achtjährige mit ihren Eltern aus Wien erst nach London, dann nach Palästina geflüchtet. Trotz ihrer bösen Erinnerungen an Österreich legte sie Wert darauf, ihren Kindern die deutsche Sprache beizubringen. Als Avner nach seinem Jus-Studium auch noch die Diplomatische Akademie in Wien besuchte, war sein Weg vorgezeichnet. Nach Stationen in Bonn und Ost-Berlin (zwischendurch verbrachte er die obligaten, schlecht bezahlten Jahre im Außenministerium in Jerusalem) wurde er nach Wien entsandt. Einmal hatte er Haider, als dieser zum zweiten Mal Kärntner Landeshauptmann wurde, sogar persönlich in Klagenfurt getroffen. Avner Fohlt war damals nahe dran gewesen, ihn zu fragen, wie er denn das mit der „ordentlichen Beschäftigungspolitik im Dritten Reich“ gemeint habe, aber er tat es dann doch nicht, er erwartete sich keine befriedigende Antwort. Und doch war er von Jörg Haider