Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Tod des Teemeisters

Der Tod des Teemeisters

Titel: Der Tod des Teemeisters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasoushi Inoue
Vom Netzwerk:
auf, das er bei sich trug, nahm ein verhältnismäßig dickes japanisches Manuskript heraus und legte es vor mich hin.
    »Hättet Ihr die Güte, Euch diese Schrift einmal anzuschauen? Herr Sōji hat auf meinen bescheidenen Wunsch hin eine Abhandlung, man könnte sagen, über die Geheimnisse oder die verborgene Tradition des Tees verfaßt. Für mich als bloßen Anfänger ist manches darin schwer verständlich. Es tut mir leid, Eure Zurückgezogenheit zu stören, aber ich möchte, daß Ihr sie lest und mir einige Punkte darin erläutert. Ich kann mir niemanden vorstellen, der dazu besser geeignet wäre als Ihr, der so lange an Meister Rikyūs Seite gelebt hat.«
    »Ihr meßt den Kenntnissen eines einfachen Mönchs zuviel Gewicht bei. Bis zu welchem Grad könnte ein kaum gebildeter Mann wie ich eine Schrift des erlauchten Sōji verstehen, des zweifellos besten Schülers meines Meisters? Doch wenn Ihr es wünscht, will ich sie mir gern anschauen. Ich bräuchte nur einige Tage ...«
    »Nehmt Euch so viele Tage Ihr wollt.«
    »Aber sie muß von unschätzbarem Wert für Euch sein.Wenn es Euch beliebt, könnte ich zu Euch kommen und sie mir in Eurem Hause anschauen.«
    »Nicht nötig. Dies ist eine Abschrift, die ich angefertigt habe. Die von Meister Sōji verfaßte Originalrolle würde ich nie außer Haus geben. Seid also unbesorgt! Ihr könnt sie so lange bei Euch behalten, wie Ihr wollt. Falls Ihr sie nochmals abzuschreiben wünscht, habe ich nichts dagegen.«
    Auch in dieser Angelegenheit kam Herr Kōsetsusai geradeheraus und unbeirrt zur Sache.
    »So darf ich nach langer Zeit endlich wieder die Stimmen Meister Rikyūs und Bruder Sōjis vernehmen.«
    Mein Herz jubelte. Ich nahm das Manuskript, betrachtete die Zeichen »Verfaßt von Sōji Yamanoue« auf dem Deckblatt und hob die Rolle zum Zeichen meiner Verehrung an mein Gesicht. Sodann erhob ich mich, um sie auf mein Studierpult im Nebenzimmer zu legen.
    Anschließend fuhren wir mit unserer Unterhaltung fort. Auf Herrn Kōsetsusais Wunsch bereitete ich noch einmal Tee. Um diese Jahreszeit war es noch kühl, aber mein Kohlebecken reichte aus, um den kleinen Raum zu erwärmen. Draußen regte sich kein Lüftchen, und es herrschte vollkommene Stille.
    »Wann hat der verehrte Yamanoue Sōji dieses Manuskript verfaßt?«
    »Im zweiten Monat des siebzehnten Jahres Tenshō 9
    brach ich als Gesandter aus Odawara auf. Kurz zuvor hatte ich es erhalten. Demnach muß Sōji im Herbst des vorhergegangenen Jahres mit der Niederschrift begonnen haben. Kaum in Odawara angekommen, hatte man ihn im Hause Hōjō bereits zum Teemeister gemacht. Überdieserteilte man ihm gewisse Zuwendungen. Vielleicht hat er die Schrift auch ein wenig aus Dankbarkeit verfaßt, obgleich das sicher nicht der einzige Grund war. Nach der Lektüre werdet Ihr es sicher wissen. Ich habe das Gefühl, er wollte ein schriftliches Zeugnis hinterlassen, da er ahnte, daß sein Schicksal sich jederzeit wenden konnte.«
    »Wie lange weilte Herr Sōji in Odawara?«
    »Drei oder vier Jahre.«
    »Und wo hatte er sich zuvor aufgehalten?«
    »Er scheint einige Zeit als Teemeister von Taikō Hideyoshi in Sakai gewesen zu sein. Er hat nie etwas Genaues darüber erzählt. Er sah wahrhaftig seltsam aus, nicht wahr? Immer zog er so ein finsteres, grimmiges Gesicht. Gut vorstellbar, daß er bei seinem heftigen Temperament und seinem unbeugsamen, sturen Wesen Hideyoshis Mißfallen erregte. Danach zog er eine Weile stellungslos durchs Land, bis er schließlich nach Odawara gelangte. Andererseits war er sehr aufrichtig und loyal. Warum sonst hätte er diese geheime Schrift für mich verfaßt?« »Darüber weiß ich nichts, doch in jedem Fall ist das unerwartete Glück, sie jetzt, wo Meister Rikyū und auch Sōji nicht mehr bei uns sind, anschauen zu dürfen, von unschätzbarem Wert für mich!«
    »Ihr habt recht, aber er hat davon gesprochen, daß er eine Schrift seinem Sohn, dem ehrenwerten Dōhachi Iseya übergeben hat, bevor er sie mir gab. Ob es nun eine gibt oder zwei, beides soll mir recht sein. Herr Sōji war übrigens noch recht jung. Erst achtundvierzig bei der Niederlage von Odawara.«
    »Nach dem Fall von Odawara waren entsetzliche Gerüchte über ihn im Umlauf.«
    »Ja, ich kenne sie.«
    »Hat er wirklich ein so gräßliches Ende gefunden, wie behauptet wird?«
    Es fiel mir schwer, dies anzusprechen, aber ich wollte mich vergewissern, ob die Gerüchte den Tatsachen entsprachen. Nach Odawara waren auch die Gerüchte über

Weitere Kostenlose Bücher