Der Tod des Teemeisters
Nichts nichts vernichte und nur der Tod alles auslöschen könne, habe ich Meister Rikyū nun direkt vor seinem Selbstmord gesehen und gesprochen. Einiges von dem, was er sagte, verstand ich, anderes nicht. Aber es scheint, als habe mein Meister mir nun die Dinge, über die ich Tag und Nacht nachgegrübelt habe, mit seinen eigenen Worten erklärt.
Auf dem kalten, einsamen Weg geht Meister Rikyū, vor ihm schreitet Yamanoue Sōji und hinter ihm Furuta Oribe. Ich glaube, mein Meister wollte mir sagen, was dies bedeutet. Unentwegt muß ich jetzt daran denken. Als Herr Sōji und Herr Oribe wie Meister Rikyū den Befehl zum Selbstmord erhielten, erreichten sie als Teemenschen vielleicht zum ersten Mal die Erkenntnis: ruhig an Ort und Stelle den Tee bereiten und nicht daran denken, seinem Schicksal zu entfliehen.
Es ist eine Welt, zu der ich, Honkakubō, keinen Zutritt habe.
Ende der Aufzeichnungen
NACHBEMERKUNG
Soweit also Honkakubōs Aufzeichnungen. Ich habe sie etwas verändert und einige historische Erläuterungen und dergleichen hinzugefügt. Es ist schwierig, aus dem Nachlaß zu erschließen, wann der Autor gestorben ist. Ich kann mir nicht vorstellen, daß er noch lange gelebt hat, nachdem er am Siebten des zweiten Monats Genma acht 59 von Rikyūs Tod geträumt hatte. Der Bericht über den Traum ist die letzte ordentliche Eintragung. Danach kommen nur noch zwei oder drei Seiten flüchtiger Notizen auf japanischem Papier.
Darunter findet sich folgende kurze Bemerkung: »Achter Monat, zweiter Tag, Teeschale und Spatel mit Boten verschickt.« Um welches Jahr es sich handelt, wird nicht gesagt, aber es wäre nur natürlich, wenn es Genma acht wäre. Das würde bedeuten, Honkakubō hätte nach dem Abbruch seines Tagebuchs noch mindestens ein halbes Jahr gelebt.
Ich weiß auch nicht, an wen er die Teeschale und den Spatel geschickt hat, aber wenn es Hinterlassenschaften Rikyūs waren, kommt als Empfänger nur dessen Enkel Sōtan in Frage, in den Honkakubō große Hoffnungen für die Wiederbelebung des Wabisuki setzte. Selbstverständlich sind das alles nur Vermutungen von mir. Bei der Teeschale handelt es sich mit einiger Sicherheit um die schwarze Schale von Chōjirō, die Honkakubō von Rikyū erhalten hatte. Auch den Teespatel hatte er bestimmtvon ihm bekommen, auch wenn ich nicht sicher bin, ob es einer von jenen war, die Rikyū selbst geschnitzt hatte.
Personen
Furuta Oribe historischer Nachfolger Rikyūs (vgl. Glossar); Teemeister Hideyoshis (vgl. Glossar) und Shōgun Tokugawa Ieyasus. Auch er beging Selbstmord.
Honkakubō ergebener Diener und Schüler Meister Rikyūs; Chronist der Ereignisse.
Kōkei Priester im Daitokuji (vgl. Glossar), wird von Hideyoshi in die Verbannung geschickt und später begnadigt.
Kōsetsusai Okano ehemaliger Samurai, der einst auf Seiten des von Hideyoshi besiegten Hōjō-Clans kämpfte. Nun Mönch und Verbündeter Hideyoshis.
Oda Uraku jüngerer Bruder Oda Nobunagas (1534-1582), des ersten Einigers Japans und Vorgänger Hideyoshis. Er bittet Honkakubō um Hilfe bei der Errichtung seiner Teeklause.
Sōtan Meister Rikyūs Enkel, der der Teekunst seines Großvaters zu neuem Ruhm verhelfen möchte.
Tōyōbō alter Freund Rikyūs, Mönch und Liebhaber der Teezeremonie.
Yamanoue Sōji historischer Schüler Rikyūs, Verfasser einer Schrift über die Geheimnisse des Tees.
Glossar
Ama-no-hashidate die in zahlreichen Gedichten besungene »Himmelsbrücke«. Nehrung an der Westküste zum Japanischen Meer, eine der klassischen »drei schönsten Aussichten« Japans und der Ort, an dem die Götter das japanische Archipel erdachten.
Cha japanisch »Tee«.
Cha-no-yu (Chanoyu) Philosophie und Kunst des Tees.
Chōjirō (1516-1592) Gründer der Töpferschule Raku, schuf ab etwa 1580 von Rikyū inspiriert die dick glasierte, von Hand geformte Keramik, die bis heute als Raku-Ware (rot oder schwarz) ihren Namen hat.
Daitokuji gefördert durch → Hideyoshi erlebte der Tempel der → Rinzai-Schule in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts eine Blütezeit, die er nicht zuletzt seiner Verbundenheit mit der Teezeremonie verdankte. Angeblich ließ Rikyū im oberen Stock des Sanmon-Tores eine Statue von sich aufstellen. Erbost, unter ihm hindurchgehen zu müssen, soll Hideyoshi seinen Teemeister zum Selbstmord verurteilt haben.
Hideyoshi, Tōyōtomi (Taikō ) (1536-1598) großer Feldherr und Reichseiniger Japans. Mäzen → Rikyūs. Er stammte aus dem niederen Schwertadel, trat 1558 in die
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