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Der Tod des Teemeisters

Der Tod des Teemeisters

Titel: Der Tod des Teemeisters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasoushi Inoue
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Blick erhaschte, habe ich die seltsame Szene in all den Jahren nie vergessen. Irgendwann kam ich zu dem Schluss, daß der Gastgeber an jenem Abend Yamanoue Sōji und einer der beiden Gäste mein Meister gewesen sein mußte. Aber wer war wohl der dritte gewesen? Leider habe ich keinen Anhaltspunkt, der mir erlaubt, darüber zu befinden. Der einzige, den ich an jenem Abend ohne jeden Zweifel erkannte, war Meister Rikyū . Daß Yamanoue Sōji der Gastgeber war, ist nur eine Vermutung, ich habe keinerlei Beweis dafür, daß er meinen Meister aufsuchte.Keiner derjenigen, die ich gefragt habe, konnte mir einen solchen Besuch bestätigen. Andererseits war er bestimmt Meister Rikyūs einziger Schüler, der es gewagt hätte, in dessen Gegenwart in einem solchen Ton zu sprechen.
    Der dritte und unbekannte Gast, bis zu dem das Licht nicht vordrang und der daher für mich nur ein dunkler Schatten blieb, schien ein zurückhaltender Mensch zu sein. Doch immerhin hatte er an der Zeremonie teilgenommen. Ich spürte damals, daß etwas vorging; nur was es war, weiß ich nicht. Vielleicht geschah ja auch gar nichts, und ich habe mir wegen der unheimlichen Gestalt im Dämmerlicht alles nur eingebildet.
    Als Herr Kōsetsusai mich heute fragte, ob ich Yamanoue Sōji schon einmal begegnet sei, hätte ich ihm am liebsten von jener seltsamen nächtlichen Szene im Myōkian berichtet, dennoch verzichtete ich darauf. Vielleicht war es tatsächlich Sōji gewesen, vielleicht auch nicht. Bei Herrn Kōsetsusais Bemerkung über dessen »sonderbares« Aussehen erschrak ich unwillkürlich. Womöglich läßt sich mein Eindruck, einen der grimmigen Weisheitskönige im Teezimmer zu sehen, darauf zurückführen.
    »Das Nichts vernichtet nichts, der Tod alles.«
    Heute verstehe ich diese Worte. Derjenige, der das Zeichen »Mu« – Nichts – geschrieben hat, muß ein Zenmönch aus dem Daitokuji gewesen sein. Es ist kein besonders ungewöhnliches Zeichen. Das Zeichen »Tod« hingegen könnte Bruder Yamanoue Sōji selbst geschrieben haben. Wer sonst würde so etwas schreiben? Paßt eine solche Kalligraphie überhaupt in einen Teeraum oder nicht? Wirkt sie entspannend? Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht einmal, ob sich dieses Wort für einen Mann des Tees geziemt oder ob es eine Lästerung ist.Ich hätte Meister Rikyū fragen sollen, aber ich habe es nie getan.
    Ich dachte an ihn, dachte an Bruder Sōji und sah zum hundertsten Mal die Szene vor mir, die sich vor zehn Jahren im Myōkian abspielte. Die Nacht schreitet voran. Im Gegensatz zur letzten ist es eine ruhige Frühlingsnacht. Morgen werde ich Yamanoue Sōjis Schrift aufschlagen und mich ehrerbietig davor niederlassen.
    Zweiter Monat, vierter Tag
    Klares Wetter
    Zur Stunde der Schlange 12 setzte ich mich an das Manuskript auf meinem Schreibtisch. Es umfaßt sechzig Seiten auf japanischem Papier, von denen jede eng mit Zeichen in der kraftvollen Handschrift von Herrn Kōsetsusai bedeckt ist.
    Die erste Seite beginnt wie folgt: »Dies ist der ursprüngliche Weg des Tees.« Man hat mir zwar gesagt, es handle sich um ein Werk über die geheime Tradition des Tees, aber da ich dennoch keine Ahnung von seinem Inhalt hatte, wollte ich es zunächst einmal ganz überfliegen.
    Die ersten drei Seiten schildern die Geschichte des Teewegs, es folgt eine Auflistung von Gerätschaften von Jukō. Zuerst werden gewöhnliche Utensilien wie Gefäße, Teeschalen, Kessel, Teelöffel aufgezählt. Als nächstes sind offenbar berühmte Stücke vermerkt, jedes mit einer kurzen Beschreibung. Diese fünf- oder sechsunddreißig Seiten machen etwas über die Hälfte des Manuskripts aus.
    Hernach folgen »Die Zehn Verpflichtungen eines Teemenschen«, sowie auf zehn Seiten die Viten von Teemeisternund ein Nachwort. In der Zeile darunter sind als Datum der zweite Monat im Jahre siebzehn der Tenshō-Ära 13 und als Autor Sōji angegeben. Schließlich folgt die Widmung »für Kōsetsusai«. Die eigentliche Schrift endet hier, darüber hinaus sind jedoch noch einige Gedichte im chinesischen Stil beigefügt.
    Nachdem ich das Manuskript überflogen hatte, kam mir der Gedanke, daß ich, statt es sofort durchzuarbeiten, lieber zuvor eine Abschrift anfertigen sollte. Im Grunde handelt es sich um ein Inkajo, eine Urkunde, wie sie ein Meister seinem Schüler am Ende seiner Lehrzeit übereignet. Der Inhalt ist wichtig, und die Person, die sich auf den Weg des Tees begibt, muß genauestens damit vertraut sein. Ich war unsicher, ob es sich für

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