Der Tod des Teemeisters
gesprochen, bin ihm jedoch zweioder dreimal in der Villa Juraku begegnet. Wann ist er verstorben?«
»Im dritten Jahr Keichō 30 . Schon vor dreizehn Jahren.«
»Er war ein wahrer Meister unter den Teeliebhabern. Niemand vermag an seine Stelle zu treten ...«
»Aber Ihr, Herr Oribe ...«, erkühnte ich mich zu sagen. »Niemand kann mich so bezeichnen.« Wieder lachte er unbekümmert. »Herr Sansai tritt seine Nachfolge an. In letzter Zeit sah ich ihn hin und wieder, wenn er in der Hauptstadt weilte. Ich hätte gern die Gelegenheit genützt, ihm Herrn Enshū vorzustellen, aber er stimmt nicht zu. Es steckt nichts Besonderes dahinter. Der alte Sansai hat gehört, er gestalte den Garten des Nijō-Schlosses, und fragt sich, wie ein so junger Mann, der den Krieg nicht kennt, einen Garten entwerfen soll. Herr Sansai wird bald sechzig und ist recht eigensinnig. Gäste, die früher seine Villa aufsuchten, um seine Sammlung zu besichtigen,erkannten erstaunt, daß im ganzen Eingang bis in den großen Saal nur Kriegsgerät ausgestellt war: Rüstungen, Helme, Lanzen und Schwerter. Sobald ein Gast sich dann nach dem Teegeschirr erkundigte, soll Herr Sansai erwidert haben, für einen Samurai gebe es keine anderen Kunstgegenstände als Waffen. Der Untergang der Teekultur der Krieger erzürnt den alten Mann.« Wieder lachte Herr Oribe. »Doch in Friedenszeiten ist eben auch die Teezeremonie friedlich«, fuhr er fort. »Da kann man nichts machen. Männer, wie der junge Enshū, von dem ich gerade sprach, werden von nun an die Teezeremonie ganz in ihre Hände nehmen.«
»Wie alt ist denn Herr Enshū?«
»Erst Mitte dreißig. Wäre er nur ein wenig früher geboren worden, hätte ich ihn gerne Meister Rikyū vorgestellt.«
Unser Gespräch war angeregt, aber es wurde spät, und ich wollte mich allmählich verabschieden.
»Ich habe es Euch gewiß schon gesagt, aber die letzten Gedanken und Gefühle Meister Rikyūs beschäftigen mich noch immer. Er hätte nur um Gnade bitten müssen, um sich zu retten, und hat es nicht getan. Er muß das doch gewußt haben. Und hat dennoch nichts unternommen. Vielleicht dachte er, für die Teezeremonie reiche eine Generation – er selbst?«
»...«
»Vielleicht glaubte er, es genüge, wenn sein Teestil überlebt?«
»...«
»Hat er geahnt, daß seine Teekunst nicht weiterleben kann?«
»...«
»Wollte er sein Leben nicht zu Ende leben?«
»...«
»Was dachte er?«
»Ja was wohl? Wenn Ihr es nicht wißt, Herr Oribe, wie soll jemand wie ich es dann wissen?« Ich konnte nicht anders, als ihm die gleiche Antwort wie vor anderthalb Jahren zu geben. Aber diesmal fügte ich hinzu:
»Vielleicht wollte Meister Rikyū sich nicht selbst belügen.«
»Sich belügen?«
»Er war nicht willens, eine Entscheidung zu treffen und unternahm deshalb nichts, glaube ich. Dies war natürlicher für Meister Rikyū, als um Gnade zu bitten. Meint Ihr nicht? Hätte er weiterleben wollen, hätte er es gewiß getan. Ein Mann wie er hätte das vermocht. Mehr kann ich Euch dazu nicht sagen. Ich habe Meister Rikyū lange Jahre gedient und gelernt, seinen Tod zu akzeptieren. Diese Erklärung ist ein Versuch, Euch die Zweifel mitzuteilen, die ich seit zwanzig Jahren hege. Gewiß könnte man das etwas überzeugender darstellen, ich vermag es jedoch nicht.«
Aus einem Gefühl des Ungenügens heraus fuhr ich fort: »Bedauern oder Reue? Ich glaube, er hat nichts von alldem empfunden. Gewiß hat er sich ebenso zielbewußt getötet, wie er Teegerätschaften ihre Namen gab, und dabei gedacht: So ist es gut.«
»Dennoch fällt es mir schwer, seinen Tod nicht für eine unnötige Verschwendung zu halten. Sich auf Befehl zu entleiben! Hätte er diesen Befehl nicht erhalten, würde er doch noch leben!«
»Vielleicht erschien Meister Rikyū beides gleichermaßen natürlich – leben oder auf Befehl sterben. Damit kommeich zu Ende, denn ich weiß nicht, was ich Euch noch sagen soll.«
»...«
»In den vergangenen zwanzig Jahren habe ich jeden Tag mit Meister Rikyū gesprochen. Nicht einmal hat er mir dabei ein reuevolles oder trauriges Gesicht gezeigt. Nur ein wenig einsam sah er mitunter aus. Doch das war schon zu seinen Lebzeiten so.«
»Ich danke Euch, auch wenn Eure Gedanken mich nicht ganz überzeugen. Doch in einem habt Ihr sicher recht: Meister Rikyū hätte leben können, wenn er gewollt hätte. Demnach hielt er es wohl für besser, nicht zu leben, und die Entscheidung fiel ihm nicht schwer. Nur weiß ich nicht, was
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