Der Tod des Teemeisters
Frühjahr nichts von ihm gehört hatte, rechnete ich nicht damit, seine Schilfgrashütte noch einmal zu betreten. Doch mit dem Herbst kam auch wieder eine Einladung.
In den vergangenen anderthalb Jahren ist Herr Oribe zum Großmeister aufgestiegen. Zweifellos bezieht er nochdie zehntausend Koku Reis aus seinem Lehen, aber seit dem letzten Herbst unterrichtet er Shōgun Hidetada im Teeweg und ist inzwischen Teelehrer der ganzen Familie. Daher ist es nicht ungewöhnlich, daß er als ein großer Mann des Tees, bester Kenner des Geschmacks der schlichten Strenge und ehrwürdigster Priester unter dem Himmel bezeichnet wird.
Von diesem großen Meister Oribe erhielt ich nun – auch dieses Mal einen Monat im voraus – eine Einladung. Nach meinem letztmaligen Versagen wollte ich mich zuvor vergewissern, welche besondere Bedeutung der Zweiundzwanzigste des neunten Monats für Herrn Oribe haben mochte. Ich brauchte nicht lange zu suchen, sondern fand rasch heraus, daß mein Meister an diesem Tag eine Teezeremonie allein für Herrn Oribe gehalten hatte: am Morgen des Zweiundzwanzigsten des neunten Monats im achtzehnten Jahr Tenshō 28 .
Am Mittag desselben Tages wurde eine Zeremonie für den Kaufmann Sōzaemon aus dem Handelshaus Kimuraya in Ōsaka abgehalten und am Abend eine für Mōri Terumoto. Außerdem bediente mein Meister am Morgen des folgenden Tages, also am Dreiundzwanzigsten – wie könnte ich es je vergessen –, mich als einzigen Gast. Im nachhinein weiß ich, daß er damals kaum noch ein halbes Jahr zu leben hatte und, sein Schicksal vorausahnend, von seinen engsten Freunden Abschied nehmen wollte. Wahrscheinlich lud er an diesem Tag auch Herrn Oribe als einzigen Gast zum Tee. Es versteht sich von selbst, daß sie sich in dem viereinhalb Tatami großen Teezimmer in der Villa Juraku trafen. Ich kann es nicht mit Sicherheit sagen, aber wahrscheinlich hat er ein Mizusashi– ein Frischwassergefäß – aus Seto, ein quadratisches Tablett und eine bauchige chinesische Teedose namens Konohazaru verwendet. Dazu nahm er wohl eine Tenmoku-Teeschale aus dem Yakushi-Tempel.
Doch lassen wir das. Heute sah ich Herrn Oribe, der sich seit dem letzten Frühjahr nicht verändert hat. Im Gegenteil, wegen seiner guten Gesichtsfarbe und klaren, kräftigen Stimme merkt man ihm seine fast siebzig Jahre gar nicht an.
Wie beim ersten Mal betrat ich die drei Tatami große Teehütte. In der Tokonoma hing eine Kalligraphie von Neiitsusan.
Mein Gastgeber bediente sich einer Seto-Teedose namens Tsujidō und einer schwarzen asymmetrischen Seto-Teeschale, von der ich schon gehört hatte. Die Zeremonie vollzog er in der gleichen Manier wie Meister Rikyū – großzügig, frei und voller Gelassenheit. Nur der Stil der Gerätschaften wich ein wenig von dem Meister Rikyūs ab. Herr Oribe schien hierin ganz seiner persönlichen Vorliebe für Eleganz zu folgen.
Das Menü bestand aus gegrilltem Lachs, einem kleinen Vogel, Suppe, Reis, Yumisopaste, feinen Weizenwaffeln und Maronen.
In einem passenden Augenblick bat ich meinen Gastgeber um Verzeihung, daß ich die Bedeutung seiner letzten Einladung nicht bemerkt hatte.
»Ach, solche Dinge sind ohne Belang. Unsere Zeremonie damals fand zu Ehren der Pflaumenblüte statt, heute gilt sie den Hagisträuchern.« Herr Oribe lachte, was ihm ähnlich sah, und ich beschloß, den wahren Anlaß für unsere heutige Begegnung unerwähnt zu lassen.
»Nächstes Jahr erreiche ich das Alter, in dem MeisterRikyū uns verlassen hat, und erkenne erstmals den wahren Sinn seiner Worte.«
Er ließ es damit bewenden und sprach mit mir über das Bild mit den Silberreihern, das er mir beim letzen Mal gezeigt hatte.
»Nie werde ich vergessen, was damals im Jahr Tenshō dreizehn 29 geschah. Bei einer Teezeremonie fragte ich Meister Rikyū, was das Wesen des Suki sei. Heute würde ich es nie wagen, eine solche Frage zu stellen. Doch mit vierzig war ich noch wie besessen vom Weg des Tees und scheute keine Unbedarftheit. Es gibt da ein antikes Bild mit Silberreihern von Joki aus dem Hause Matsuya in Nara. Es ist im chinesischen Stil und sehr berühmt. ›Dieses Bild zu verstehen‹, sagte Meister Rikyū damals zu mir, ›bedeutet, Suki – künstlerische Schlichtheit und Strenge – zu verstehen. Zuerst mußt du dir dieses Bild anschauen.‹ Also brach ich am nächsten Tag zu Pferde nach Nara auf, um mir dieses Bild anzusehen. Kennt Ihr es?«
»Ich habe es einmal in Begleitung Meister Rikyūs bei den Matsuya
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