Der Tod des Teemeisters
gesehen.«
»Was dachtet Ihr bei seinem Anblick?«
»Eigentlich nichts Besonderes, nur daß es das berühmte Silberreiher-Bild sei. Aber die Schönheit der beiden Silberreiher habe ich noch immer vor Augen.«
»Ja! Zwei Silberreiher inmitten von grünem Seegras und zwei Lotusblüten. Jede der Wasserpflanzen ist einzeln ausgeführt und hat eine geöffnete Blüte. Es ist wirklich ein wundervolles Bild. Jukō soll es von Shōgun Ashikaga erhalten haben, es ist eines der Hauptwerke chinesischer Malerei. Doch wie ich an ihm den Stil vornehmer Schlichtheitverstehen sollte, stürzte mich damals in große Ratlosigkeit.
Vor kurzem habe ich das Werk nach über zwanzig Jahren wiedergesehen, als man mich um meinen Rat bezüglich einer Restaurierung der Aufhängung bat. Die Silberreiher hingen in der Tokonoma des Teezimmers. Und zum ersten Mal begriff ich den Sinn dessen, was Meister Rikyū mir gesagt hatte. Das Bild ist hervorragend, aber auf seine Rahmung kommt es an. Plötzlich wurde mir klar, daß Meister Rikyū von dieser schlichten Aufhängung gesprochen hatte. Es scheint mir charakteristisch für Jukō, das Bild auf einen solchen Stoff aufzuziehen. Bewundernswürdig, wie Meister Rikyū dies so genau erkannt hatte. Das entscheidende Raffinement des Bildes liegt tatsächlich in seiner schlichten Umrahmung.
Aber es ist nicht nur das Bild. Auch andere Äußerungen Meister Rikyūs kann ich mir nicht erklären. So pflegte er zu sagen, man müsse über sich selbst nachdenken und sein Selbst erkennen. Neuerdings stoße ich häufig auf solche Gedanken von Meister Rikyū .« Herr Oribe überlegte kurz. »Geht es Euch nicht ebenso?« fügte er hinzu. »Ihr habt recht. Je älter ich werde, desto tiefer dringe ich zu den Worten meines Meisters vor. Auf welche Weise habt Ihr die Rolle mit den Silberreihern denn aufgearbeitet?« fragte ich.
»Ihr Zustand erlaubte es nicht, sie auch nur mit dem Finger zu berühren. Die einzige Stelle, an der ich sie anzufassen wagte, war die Schnur. Aber selbst diese auszutauschen, wäre kein leichtes Unterfangen gewesen. Am besten, man berührt das Bild überhaupt nicht.«
Herr Oribe kehrte zu seinem ursprünglichen Thema zurück.
»Ihr hattet Glück, Honkakubō, in Meister Rikyūs Diensten zu stehen. Auf diese Weise konntet Ihr viele seiner Worte in Eurem Herzen bewahren.«
»Das ist fürwahr ein Glück. Und Ihr, Herr Oribe, wann seid Ihr Meister Rikyū zum ersten Mal begegnet?«
»Tja, wann war das? Laßt mich nachdenken. Es muß zur Zeit der Belagerung von Odawara gewesen sein. Da ich an der Front im Osten war und Meister Rikyū sich in Hakone aufhielt, sahen wir uns nur selten, doch wundersamerweise spürte ich stets seine Gegenwart.«
»O ja, ganz gewiß«, hätte ich fast gesagt, doch ich schluckte meine Worte im letzten Augenblick hinunter. Ich erinnerte mich an etwas, das mein Meister damals in der Herberge in Hakone gesagt hatte: »Den ganzen Tag über kämpft Herr Oribe auf dem Schlachtfeld, und danach widmet er sich dem Tee. Dennoch übt er die Teezeremonie nicht zwischen den Kämpfen aus, sondern kämpft zwischen den Teezeremonien. Alle drei Tage schreibt er mir, doch selbst jetzt mitten im Krieg spricht er von nichts anderem als von Teespateln und Teedosen. Und ich antworte ihm im gleichen Sinne. Es ist recht eigentümlich. Ich kann eine solche leidenschaftliche Hingabe an die Teezeremonie nur loben.«
»Nach der Belagerung von Odawara suchte ich Meister Rikyū auf. Wißt Ihr davon?«
»Gewiß.«
»Damals begaben wir uns zu Pferde nach Yugihama. Ich ritt voraus, Meister Rikyū folgte mir. Als wir an den Strand kamen, fragte er: ›Herr Oribe, wie gefällt Euch das Gestade von Shiohama?‹ Ich schwieg, da ich nicht genau wußte, welche Antwort er erwartete. Da sagte er: ›Beim Anblick der Wellen von Shiohama denke ich,man sollte der Asche im Kohlebecken das Muster geben, das sie im Sand hinterlassen.‹ Solche Beobachtungen entsprachen ganz dem Wesen Meister Rikyūs. Nirgendwo und zu keiner Zeit wich er je vom Weg des Tees ab.«
»Wabisuki-jōjū, chanoyu kanyō – stets mit Leib und Seele auf dem Teeweg der schlichten Strenge wandeln.«
»Sind das die Worte Meister Rikyūs?«
»Ja, aber er hat sie nicht mir persönlich gesagt, sondern dem inzwischen verstorbenen Herrn Tōyōbō, der die Freundlichkeit besaß, sie an mich weiterzugeben.«
»Wabisuki-jōjū, chanoyu kanyō – in diesen Worten offenbart sich das ganze Wesen Meister Rikyūs. Ich habe nie mit Herrn Tōyōbō
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