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Der Tod des Teemeisters

Der Tod des Teemeisters

Titel: Der Tod des Teemeisters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasoushi Inoue
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Teegesellschaften nimmt er nicht mehr teil. Nach Rikyūs Tod hat er sich zurückgezogen und hält Teezeremonien nur noch für sich selbst oder enge Freunde. Ich finde dasüberaus erhaben. Ich bedauere, daß meine alltäglichen Pflichten es mir nicht gestatten, mich ganz dem Weg des Tees hinzugeben: Gerade so leben, daß es nicht ins Haus hineinregnet und man nicht verhungert.«
    Herr Oribe lachte laut, ein unbekümmertes Lachen, wie mir schien.
    Nachdem wir etwa zwei Stunden im Teehaus gesessen hatten, brach ich schließlich um die Stunde des Affen 25 auf. Herr Oribe begleitete mich den Gartenpfad hinunter bis zum Tor.
    Sogleich machte ich mich auf den Rückweg nach Kyōto. Während ich die zwei Ri 26 zurücklegte, dachte ich unaufhörlich an Herrn Oribe. Es hatte mich wirklich sehr gefreut, ihn wiederzusehen. Ungeachtet aller Gerüchte hat er Meister Rikyū in den letzten zwanzig Jahren unverbrüchlich die Treue gehalten und sich nicht im geringsten verändert. Das habe ich nun mit eigenen Augen gesehen und eigenem Herzen gespürt.
    Ich erfreute mich an den Geschichten über die »Tränen« und die Teeschale »Hayafune«. Da ich es vorzog, an diesem Tag niemandem mehr zu begegnen, kehrte ich in meine Klause zurück, ohne im Daitokuya, wo ich die letzte Nacht verbrachte hatte, Station zu machen.
    Gegen sieben war ich zu Hause und verbrachte noch den ganzen Abend in Herrn Oribes Gesellschaft. Ich konnte nicht aufhören, an ihn zu denken.
    Unversehens durchzuckte mich ein Gedanke, und ich erschrak. Wie hatte ich nur so gedankenlos sein können! Heute, am Dreizehnten des zweiten Monats vor zwanzigJahren hatte Meister Rikyū die Villa Juraku verlassen, um nach Sakai aufzubrechen. Es war der Tag, an dem die Herren Oribe und Sansai ihn an den Yodo begleitet hatten. Scham überwältigte mich. Heute vor zwanzig Jahren hatte Herr Oribe meinem Meister zum letzten Mal Lebewohl gesagt. Gewiß hatte er diesen besonderen Tag im Gespräch mit mir über Meister Rikyū begehen wollen. Kein Zweifel. Was bin ich nur für ein pflichtvergessener Gast! So die Gefühle meines Gastgebers zu mißachten!
    Meister Rikyū ist am Achtundzwanzigsten des zweiten Monats gestorben. In keinem Jahr versäume ich es, an diesem Tag eine Gedenkzeremonie abzuhalten. Aber welche Bedeutung der Tag, an dem ich Herr Oribe besuchte, für diesen haben muß, hatte ich nicht beachtet.
    Jedes seiner Worte, jeder seiner Sätze sollte mir eine tiefere Bedeutung übermitteln. Er hatte beklagt, daß er nicht wisse, was Meister Rikyū zuletzt gedacht habe. »Ich möchte nur eins wissen, das Wichtigste, aber ich weiß es nicht. Was ist in seinen letzten zehn Tagen in Sakai in Meister Rikyū vorgegangen? Warum hat er sich mit keinem Wort verteidigt? Was hat Rikyū damals nur empfunden?« Dies waren zweifellos seine dringlichsten Fragen. Und Herr Oribe hatte mich als Gehilfen Meister Rikyūs nach meiner Meinung gefragt. Er hatte recht, ich war wirklich sein engster Bediensteter gewesen, so war es nicht abwegig, mir diese Fragen zu stellen. Dennoch hatte ich zurückgefragt, wie ich das denn wissen könne, wo nicht einmal er dazu imstande sei. Ich meinte es ehrlich. Genauso war es. Hätte er mir allerdings die gleiche Frage noch mehrmals gestellt, wäre meine Antwort vielleicht anders ausgefallen:
    »Ich weiß genau, was Meister Rikyū zuletzt gedacht hat. Wie könnte ich es nicht wissen? Meister Rikyū ist bis zum Schluss er selbst geblieben. Auch wenn ich es nicht mit Worten ausdrücken kann, weiß ich, was er fühlte, auch nachdem er nach Sakai aufgebrochen war. Wie könnte ich es nicht wissen?«
    Ich glaube, in den zwanzig Jahren nach meinem Abschied von Meister Rikyū habe ich nie wieder so aufrecht und korrekt gesessen, wie an jenem Abend, als ich ihm in meiner Klause gegenübersaß.
    »Wenn du etwas nicht mit Worten ausdrücken kannst, brauchst du es nicht zu sagen«, tröstete er mich. Nicht ein- oder zweimal habe ich dies gehört, sondern viele Male. Ich hatte keine Antwort auf seine wiederkehrenden Worte. So sitze ich nur reglos und mit erstarrtem Herzen da und erwarte den Morgen.
    Über Herrn Oribe
    Zweiter Teil
    Im sechzehnten Jahr der Ära Keichō lud Herr Oribe mich für den Zweiundzwanzigsten des neunten Monats 27 zu einer morgendlichen Teezeremonie ein.
    Die gestrige Nacht verbrachte ich bei Bekannten in Fushimi und traf heute morgen pünktlich in Herrn Oribes Teepavillon ein. Eineinhalb Jahre sind seit seiner letzten Einladung vergangen. Da ich in diesem

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