Der Tod des Zauberers
Schreibens mit der Hand ungewohnt, da ich sonst ausschließlich die Maschine benutzte, war ich herzlich froh, als ich den sechseinhalb Quartseiten füllenden Bericht beendet hatte. Ich reichte ihn Textor zur Prüfung und eventuellen Berichtigung hin. Er hatte ein sinnreich konstruiertes Brett herangezogen, das es ihm ermöglichte, im Liegen zu lesen, ohne daß er den Kopf anzuheben brauchte. Er dankte mir, lobte mein Gedächtnis und bemerkte, daß es an dem Bericht nichts zu ändern oder zu ergänzen gäbe. Dann bat er mich um meinen Füller und schrieb mit einiger Mühe darunter, daß er mir sein Geständnis wörtlich diktiert habe und sich für die Wahrheit seiner Aussage verbürge. Er habe mir, Paul van Doorn, das Schriftstück zur Verwahrung ausgehändigt und mich verpflichtet, es zu einem Zeitpunkt, den er selber bestimmen werde, der Staatsanwaltschaft oder Kriminalpolizei zu übergeben. Und er vervollständigte sein Bekenntnis durch das Signieren jeder einzelnen Seite und durch seine Unterschrift.
Das Schreiben hatte ihn sehr angestrengt. Seine Hände zitterten, als er mir den Füllhalter wieder überreichte, und auf seiner Stirn standen Schweißperlen.
»Sie haben mir einen großen Dienst erwiesen, Paul«, sagte er leise. »Vielleicht erwarten Sie von mir ein Wort der Reue. Nichts davon! Aber ich bedaure, mit meiner Tat Ihrer guten Meinung von mir und unserer alten Freundschaft einen Schlag versetzt zu haben, der sich nicht verwinden lassen wird. Ich erwarte nicht, daß Sie mir die Hand geben, wenn Sie jetzt gehen. Leben Sie wohl, Paul — und nochmals vielen Dank!«
»Reden Sie keinen Unsinn, Stephan!« sagte ich grob und umschloß seine schlaffe Hand mit beiden Händen. »Was Sie getan haben, ist so grauenhaft verrückt, daß es über mein Begriffsvermögen hinausgeht, aber meine Freundschaft zu Ihnen berührt es nicht. Wir alle tragen zugleich mit Gott auch den Dämon in unserer Brust, der unser Leben und Glück ständig bedroht. Ich bedaure Ihr Schicksal von ganzem Herzen — und Sie standen mir nie näher als jetzt. Leben Sie wohl, und lassen Sie mir Nachricht zukommen, wenn Sie mich wieder brauchen.«
Er erwiderte meinen Händedruck nicht. Ich ließ seine Hand auf das Bett zurücksinken und faltete die Blätter zusammen, um sie in meiner Brusttasche zu verwahren. Dann verließ ich ihn. Mir war die Kehle eng und der Mund bitter. In dem langen Korridor, auf dessen spiegelnden Belag die Sonne breite Lichtbahnen und die scharfen Schatten der Fensterkreuze warf, war die Visite inzwischen nahe an Textors Zimmer herangerückt. Professor Salfrank, mit dem Kometenschwanz seiner Assistenzärzte und Schwestern hinter sich, hielt mich an, als ich mit einem Gruß vorübergehen wollte.
»Ihr Freund Textor gefällt mir nicht!« brummte er mich an, als mache er mich für Textors schlechten Zustand verantwortlich.
»Mir gefällt er auch nicht, aber ihn wieder auf die Füße zu stellen, ist schließlich nicht meine, sondern Ihre Aufgabe«, sagte ich liebenswürdig. Die Schwestern kicherten leise.
»Adieu!« sagte der alte Herr und verschwand in der nächsten Tür, nachdem er mir über die Brillengläser hinweg einen vernichtenden Blick zugeworfen hatte. Im Kometenschweif, den er nachzog, war auch Schwester Mechthildis. Sie winkte mir zu.
»Der Pförtner hat vor einer halben Stunde angerufen, Sie würden unten erwartet.«
»Von wem?« fragte ich rasch.
»Von Fräulein Textor. Sie sitzt unten im Brunnenhof und wartet auf Sie.«
»Danke, Schwester Mechthildis — aber weshalb haben Sie ihr nicht gesagt, sie solle heraufkommen?«
»Sie bat mich, ihrem Vater nicht zu sagen, daß sie hier sei.«
»Das verstehe ich nicht«, murmelte ich.
»Ich auch nicht«, sagte sie mit einem kleinen Achselzucken, das die Flügel ihrer Haube hob, und beeilte sich, noch Anschluß an den Kometenschweif zu gewinnen.
Ich beugte mich über das breite Marmorgeländer der Treppe und schaute in die Vorhalle hinunter. Ein trockener Sandsteinbrunnen mit einer Büste des Äskulap, zu dem sich eine Natter emporwand, stand inmitten des kunstvoll ausgelegten Mosaikbodens, und ringsum standen Bänke an den Wänden, auf deren einer als einzige Besucherin Hansi saß. Aus der Höhe des zweiten Stockwerks kam sie mir sehr schmal und klein vor. Sie hielt ein Taschentüchlein zwischen den Fingern, mit dem sie nervös spielte.
»Hallo, Hansi!« rief ich. Sie hob das Gesicht zu mir empor, und im ersten Augenblick glaubte ich, mich geirrt zu haben, so
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