Der Tod des Zauberers
fremd sah sie aus. Ich nahm immer zwei oder drei Stufen auf einmal und stand nach wenigen Sekunden vor ihr.
»Was ist geschehen, Mädchen? Wie siehst du aus?«
Ich ergriff ihre Hand, die wie leblos am Arm hing.
»Oh, Paul,« stammelte sie mit zuckenden Lippen und verquollener Stimme. »Vimmy ist verhaftet worden.«
»Was sagst du da?« stieß ich hervor und spürte, wie mein Herz sekundenlang aussetzte und plötzlich wie wild zu schlagen begann. Meine Knie wurden weich, und ich mußte mich setzen.
»Vimmy ist heute vormittag um zehn von dem Altenbrucker Staatsanwalt Lebedur wegen Mordverdachts verhaftet und in das Altenbrucker Untersuchungsgefängnis überführt worden.«
»Das ist doch Wahnsinn!« schrie ich.
Hansi sah mich mit einem Blick an, in dem Grauen und Angst standen. Sie schüttelte den Kopf.
»Es ist kein Wahnsinn«, schluchzte sie , »Vimmy war doch in der Mordnacht in Achenreuth!«
»Natürlich war sie in Achenreuth!« sagte ich heftig, faßte Hansis Arme und rüttelte sie, »das weiß ich längst, daß Vicky damals in Achenreuth war! Es war nur ein verdammter Blödsinn, daß sie es nicht von Anfang an zugegeben hat!«
»Aber du hast doch selber gesagt, daß sie es verschweigen soll!«
»Doch erst, nachdem sie es einmal verschwiegen hatte!«
»Aber du weißt das andere nicht«, stammelte sie.
»Ich weiß es seit Jahren!« sagte ich und streichelte ihre Schulter. Sie sah mich aus großen Augen an.
»Was weißt du?« fragte sie ungläubig.
»Daß Alexander — wenn man es so nennen will — dein Halbbruder ist.«
»Das hast du schon immer gewußt?«
»Aber sicherlich«, log ich seelenruhig.
»Und du wußtest auch, daß Manueli Alexanders Vater ist?«
»Das habe ich allerdings erst vor einiger Zeit erfahren.«
»Mein Gott, Vimmy!« flüsterte sie und zerrte an ihrem Tüchelchen, daß der hohlgesäumte Rand mit einem knirschenden Geräusch riß.
»Schone dein Taschentuch und putz dir lieber die Nase!« sagte ich unfreundlich. »Deine Mutter ist furchtbar enttäuscht worden und hat viel Böses durchgemacht, ehe sie deinen Vater kennenlernte. Aber es lag nicht an ihrer Jugend, daß sie ihr Herz an einen Menschen verlor, der ihrer nicht würdig war. Die menschlichen Leidenschaften und Torheiten sind an kein Alter gebunden. Sie fallen über uns her wie Krankheiten und...«
»Ach, Paul«, unterbrach sie mich, und zum erstenmal flog der Schimmer eines kleinen Lächelns über ihr Gesicht, »du redest, als ob du Vimmy verteidigen müßtest. Es ist nicht nötig. Es ist wirklich nicht nötig!«
»So?« fragte ich ein wenig mißtrauisch. »In deinem Alter ist man gewöhnlich nicht sehr tolerant. Wie hat Alexander die Geschichte aufgenommen?«
»Es war fürchterlich. Er wollte auf die Männer losgehen, die Vimmy abholten. Aber daß Manueli sein Vater ist, weiß er nicht. Und ich habe mich nicht getraut, es ihm zu sagen.«
»Woher weißt du es?«
»Ich weiß es seit dem Tag, an dem Manueli nach Pertach kam. Ich war im Hof, als er mit seinem Wagen einfuhr. Er stellte sich mir unter seinem richtigen Namen Borda als ein alter Bekannter von Vimmy vor. Dem Aussehen nach hielt ich ihn für einen Schauspieler. Ich glaubte natürlich nicht, daß ich Vimmy erst lange fragen müßte, ob ihr der Besuch recht sei, und führte ihn einfach in die Bibliothek, wo Vimmy gerade Briefe schrieb. Erst, als ich sah, wie sie bei seinem Anblick blaß wurde, als sähe sie unser Gespenst, merkte ich, daß ich etwas Dummes angerichtet hatte. Ich ließ die beiden natürlich allein. Und dann wurde ihre Unterhaltung so laut, daß ich im Nebenzimmer jedes Wort verstand. Manueli wurde zu Vimmy so unverschämt, daß ich zu Sofie in die Küche rannte. Und als ich ihr erzählte, wer gekommen sei, da wurde sie zuerst genauso blaß wie Vimmy, und dann packte sie den Schürhaken...«
»Das scheint ihr Lieblingsinstrument zu sein.«
»... und wollte hinauf. Sie hatte vor Zorn ganz irre Augen. Und da bekam ich es mit der Angst zu tun und wollte sie aufhalten. Es gab eine richtige Rauferei zwischen uns beiden. Und dann hörten wir das Auto von Paps. Und das wiederum ging Sofie so zu Herzen, daß sie ganz grün im Gesicht wurde und sich niedersetzen mußte. >Mein Gott<, schrie sie, >jetzt schlägt er ihn tot!< Ich rannte Paps entgegen, aber als er mich fragte, was los sei, da war ich viel zu aufgeregt, um ihm vernünftig antworten zu können. Ich stotterte nur, Vimmy habe Besuch, und ehe ich ihn aufhalten konnte, rannte er, als ob er
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