Der Tod des Zauberers
nach dem Handschuhkasten neben dem Armaturenbrett. Vielleicht hatte er dort eine Waffe.
>Nehmen Sie Ihre Hand herunter!< schrie ich ihn an.
>Machen Sie keinen Unsinn, Textor!< sagte er scharf. >Auch mit der Pistole schaffen Sie es nicht aus der Welt, daß Victoria Fleming meine Geliebte war und daß Alexander mein Sohn ist!<
Und da schoß ich. Ich hätte wohl das ganze Magazin in ihn hineingeknallt, wenn die Pistole nicht nach dem dritten Schuß eine Ladehemmung gehabt hätte. Er sah mich an, als könnte er es nicht fassen, daß ich meine Drohung in die Tat umsetzen würde. Und dann sank er vornüber. Niemand schien die Schüsse gehört zu haben. Ich kam unbemerkt aus dem Hof heraus, traf auch auf der Dorfstraße keinen Menschen und lief zu meinem Auto. Auch später begegnete mir kaum ein Wagen. Die Pistole, die ich neben mich auf den zweiten Sitz gelegt hatte, warf ich irgendwo in einen Bach. In dem Augenblick, in dem sie versank, kamen mir die Folgen meiner Tat voll zu Bewußtsein. Ich will damit nicht etwa sagen, daß ich mich bis dahin in einem Zustand befunden hätte, in dem ich nicht zurechnungsfähig war. Aber meine Gedanken hatten sich nur auf jenes Ziel gerichtet, das ich nun erreicht hatte, Manueli zum Schweigen zu bringen. Vielleicht war dieser Wunsch schon damals in mir lebendig geworden, als ich von Victoria zum erstenmal erfuhr, was dieser Mensch ihr angetan hatte. Mit der Entfernung von Achenreuth kam mir immer deutlicher zu Bewußtsein, welche Folgen meine Tat für mich und für meine Familie hatte und welche Mauer sie besonders zwischen Alexander und mir errichtete. Doch genug davon. Ich sah im Licht meiner Scheinwerfer einen großen Lastwagen, der unbeleuchtet am Straßenrand parkte. Der Tachometer stand auf neunzig, und ich dachte, es würde genügen...«
Er starrte auf seine Beine, die, in eine leichte Flauschdecke gehüllt, von dem blitzenden Miniaturflaschenzug in die Höhe gereckt wurden. Ich saß neben seinem Bett, die Ellbogen auf die Knie gestützt und das Gesicht in den Händen vergraben. Es erschien mir unglaublich, daß mein verehrter Freund Stephan Textor mit jenem Mann identisch sein sollte, der, von Vernichtungsdrang besessen, stundenlang durch die Nacht gefahren war und in einer dunklen Scheune auf sein Opfer gelauert hatte. Die brutale Simplizität seiner Tat war für einen Mann von seiner sonstigen Haltung erschreckend; erschütternd wurde sie durch ihren völligen Mangel an Logik. Denn hatte er durch seine Tat nicht gerade das Gegenteil von dem erreicht, was er erreichen wollte? Es war ein glatter Mord, dem man nicht einmal den mildernden Umstand zubilligen konnte, er sei in besinnungslosem Zorn verübt worden. Nein, ich konnte seine Tat nicht verstehen. Ich konnte nach allem, was ich gehört hatte, Stephan Textor nur für einen Wahnsinnigen halten, dessen Krankheit mir verborgen geblieben war.
»Wird es Ihnen möglich sein, das, was ich Ihnen gesagt habe, in den wesentlichen Zügen schriftlich niederzulegen?«
Ich nickte ihm zu und begab mich zu dem kleinen Tisch, der vor dem Fenster stand und auf dem die Schwester ein paar Medikamente bereitgestellt hatte, die für Textor bestimmt waren. Mein gutes Gedächtnis ermöglichte es mir, seine Erzählung fast wortgetreu zu wiederholen. Eine gute Stunde lang arbeitete ich schweigend an der Niederschrift, während er mit geschlossenen Augen hinter mir lag und nur durch seinen Atem verriet, daß er nicht schlief. Einmal kam Schwester Mechthildis ins Zimmer, zog an Textors Bett die Laken und Decken glatt und sagte mit ihrer sanften Stimme, daß Professor Salfrank mit der Visite begonnen habe. Aber ich hätte noch eine gute halbe Stunde Zeit, Herrn Textor in seiner Korrespondenz behilflich zu sein, und sie würde mich rechtzeitig bitten, das Zimmer zu verlassen. Sie gab Stephan Textor eine Tablette und stellte ihm die Schnabeltasse mit frischem Wasser griffbereit an das Bett.
»Geben Sie mir zwei Tabletten, Schwester Mechthildis«, hörte ich ihn sagen, »ich habe mich an das Zeug gewöhnt, eine ist wirkungslos.«
»Sie bekommen zur Nacht zwei Tabletten. Jetzt habe ich nur eine mitgebracht. Oder haben Sie sehr starke Schmerzen?«
»Muß man bei euch erst schreien?« knurrte er sie an.
»Ich hole nachher noch eine«, sagte sie mild und mit gleichbleibender Freundlichkeit dem ungeduldigen Patienten gegenüber. Sie verließ das Zimmer, mit ihrer großen grauen Flügelhaube wirkte sie wie ein lautlos davonschwebender Nachtvogel.
Des
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