Der Tod des Zauberers
öffnete, um die Aushändigung des Gepäcks meiner Nichte bat. Ich betonte die Verwandtschaft so stark und machte ein so ernstes Gesicht dabei, daß ich hoffen durfte, die alte Dame würde mir glauben, daß es sich tatsächlich um meine Nichte handle.
»Eine reizende junge Dame!« sagte sie warm und überreichte mir Hansis kleinen Lederkoffer, den sie neben der Tür griffbereit abgestellt hatte. »Frisch wie eine Rose...«
»Gewiß«, murmelte ich und hoffte, sie würde mich nicht in die Verlegenheit bringen, ihr mein Verwandtschaftsverhältnis zu Hansi näher zu erklären. »Hansi besucht mich nämlich zum erstenmal, ihr Vater liegt hier in einer Klinik.«
»Oh, ich weiß bereits Bescheid, das Kind hat mir von dem Unglück erzählt. Ich sag’s immer wieder: diese Automobile! Es ist der reine Selbstmord, wenn man sich in solch ein Ding setzt!«
Ich bedankte mich und verabschiedete mich von ihr. Oben saß Hansi auf der letzten Treppenstufe, der enge Rock ihres taubenblauen Kostüms reichte knapp bis zu ihren braunen Knien.
»Du wohnst wirklich wie auf einem Turm.«
»Auf jeden Fall ruhig. Und von Besuchen bleibe ich auch verschont. Die meisten meiner Bekannten sind zu faul und bequem, um fünf Stockwerke hochzusteigen.« Ich sperrte meine Wohnungstür auf und stellte Hansis Koffer in dem kleinen Vorraum ab. Sie trat sichtlich neugierig über die Schwelle und zögerte vor den drei Türen.
»Geradeaus!« rief ich ihr zu, und um sie gleich mit der Topographie bekannt zu machen, fügte ich hinzu: »Rechts geht es in die Küche, links ist mein Schlafzimmer und die kleine Tür geht ins Bad.«
»Du zeigst mir später alles, nicht wahr«, sagte sie und öffnete die Tür zu meinem Arbeitsraum. Er war das größte Zimmer. Der Schreibtisch stand zwischen den beiden Fenstern, von denen man einen schönen Blick auf die saftigen Grünflächen, auf die Promenaden- und Reitwege und auf die malerischen Baumgruppen des Englischen Gartens hatte. Das Zimmer wirkte durch die helle Tapete und die ringsum laufenden brusthohen Bücherregale mit den bunten Einbandrücken sehr warm und wohnlich. An den Wänden hingen ein paar Bilder von befreundeten Malern, eine Flußlandschaft mit Weiden, die sich im Nebel verloren; eine pastos gemalte Gewitterstimmung am Chiemsee mit prachtvollen Wolkentürmen, und schließlich eine Reitergruppe, die Herren rot befrackt und die Damen in Schwarz im Morgenlicht vor einem herbstlich dampfenden Wald. Die Möblierung war spärlich, aber meinen Ansprüchen angemessen, eine breite Couch und ein niedriger Tisch, um den zwei bequeme Ohrensessel verteilt waren. Ein Geruch nach süßem Virginiatabak verlor sich trotz der offenen Fenster nie aus dem Raum.
»Wunderhübsch«, sagte Hansi spontan und ließ sich in einem Sessel nieder. » Mir ist, als wäre ich schon hundertmal hier gewesen. Wirklich hübsch und urgemütlich. Mitten in der Stadt und hoch darüber. Und der schöne Blick in den Park. Als ob man, um Wiesen und Bäume zu sehen, ans Ende der Welt nach Pertach gehen müßte! Alles ist da... Natürlich, der See fehlt... Aber den würde ich gern entbehren. Schaut man von deinem Schlafzimmer aus auch ins Grüne?«
»Ja, das Zimmer liegt neben diesem und hat die gleiche Aussicht. Aber ich werde uns jetzt einen Kaffee brauen. Ich habe ihn nötig.«
»Ich auch, Paul. Seit dem Frühstück habe ich nichts mehr gegessen. Mir war der Appetit vergangen.«
»Ich habe Butter und Honig im Kühlschrank. Oder soll ich dir ein paar Kuchen holen? Es ist gleich geschehen. Die Bäckerei ist nebenan, zwei Häuser weiter.«
»Nein, keinen Kuchen. Und den Kaffee läßt du mich machen, ja?«
Mochte sie sich beschäftigen, es war die beste Therapie für sie, und so führte ich sie in die Küche und zeigte ihr, wo sie den Kaffee, das Geschirr, die Teelöffel und das Filterpapier fand. Sie war von der Küche ganz begeistert.
»Siehst du, Paul«, rief sie, »jetzt verstehe ich, weshalb Paps von deiner Küche so angetan war und immer gesagt hat, nur Junggesellen verständen eine Küche vernünftig einzurichten.«
Es war ein winziger Raum mit eingebauten Schränken und Regalen, die vom Gasherd mit einem Handgriff zu erreichen waren. Und außerdem sah sie immer sauber aus, denn das schmutzige Geschirr ließ ich einfach in dem Kasten unter dem Spülstein verschwinden. Jeden Morgen um neun kam Frau Feuffert, meine Aufwartefrau, für eine Stunde, um abzuspülen und mein Arbeitszimmer in Ordnung zu bringen. Den Schlafraum besorgte
Weitere Kostenlose Bücher