Der Tod fährt Riesenrad - Kneifl, E: Tod fährt Riesenrad
redest.“
„Und ihr schwört, dass ihr keinem sagen werdet, was ich euch verrate? Auch nicht meiner Mama?“
Gustav hob Mittel- und Zeigefinger der rechten Hand: „Ich schwöre!“
„Es war alles meine Idee. Napoleon wollte mir zuerst nicht einmal helfen. Hielt es für eine Schnapsidee. Ich habe ihm gedroht, von zu Hause wegzulaufen, irgendwohin, wo auch er mich nicht finden würde. Daraufhin hat er nachgegeben und alles für mich organisiert. Er hat mich bei Angelina versteckt und mich täglich dort besucht. Sie hat nicht gewusst, was wir vorhatten. Wahrscheinlich hat sie es aber geahnt.“
„Warum bist du von zu Hause fortgelaufen?“, fragte Vera.
„Weil mir mein Großpapa verboten hat, meinen Papa wiederzusehen. Außerdem hat er mich nicht mehr reiten gehen lassen. Ich habe nicht einmal mehr in den Prater dürfen. Alle unsere Dienstboten haben wie die Haftlmacher auf mich aufgepasst. Ich bin mir vorgekommen wie in einem Gefängnis.“
„Und wieso hast du nicht mit deiner Mama darüber gesprochen?“ Gustav sah sogleich ein, dass seine Frage idiotisch war.
Leonie schnaubte verächtlich.
„Die hätte mir nicht geholfen, sie hätte sich niemals getraut, dem Großpapa zu widersprechen.“
„Wie hast du dir das vorgestellt? Wolltest du bei den Zirkusleuten bleiben?“ Vera musterte das Mädchen interessiert.
„Ich will Kunstreiterin werden und in den großen Varietés auftreten. Ich bin eine sehr gute Reiterin. In der Schule halte ich es nicht mehr aus. Meine Mitschülerinnen sind lauter blöde Gänse. Sie reden dauernd übers Heiraten. Ich werde sicher nie heiraten. Ich bin ganz anders als meine Mama. Ich mag keine Männer, ich mag nur Pferde. Seit ich klein war, wünsche ich mir ein eigenes Pferd. Mama und Großpapa haben mir diesen Wunsch nie erfüllt. Aber um mir endlich selbst ein Pferd kaufen zu können, brauche ich Geld. Viel Geld.“
„Und deshalb bist du auf die Idee gekommen, eine Entführung vorzutäuschen und deinen Großvater zu erpressen?“, fragte Gustav entsetzt.
„Sie brauchte eben Startkapital.“ Vera zwinkerte ihrem Neffen belustigt zu.
„Genau“, sagte Leonie ernsthaft. „Allein hätte ich es nicht geschafft. Deshalb habe ich meinen Freund Napoleon überredet, bei dieser Erpressung mitzumachen. Ich habe ihm dreißig Prozent der Summe versprochen …“
In diesem Moment klopfte jemand an die Wohnungstür.
Gustav sprang auf.
„Da sind sie endlich!“
„Kein Wort zu meiner Mama“, rief Leonie ihm nach. „Sie haben es versprochen!“
Margarete von Leiden betrat an Freddys Arm die Wohnung. Sie beachtete Gustav nicht, sondern eilte durch die offen stehende Tür, als sie ihre Tochter am Küchentisch erblickte.
Als sie Leonie zu umarmen versuchte, schüttelte die Kleine ihre Arme ab und sagte artig, aber mit zynischem Unterton: „Guten Abend, Mama, schön, dass du auch schon da bist.“
„Sie war nicht zu Hause. Ihre Kammerzofe wollte mir zuerst nicht verraten, wo ich sie finden könnte … Sie war bei einer Soiree im Palais Pálffy“, sagte Freddy leise zu Gustav und ging ebenfalls in die Küche.
Vera von Karoly hatte sich mittlerweile mit Margarete von Leiden bekannt gemacht und ihr einen Kaffee und einen Marillenschnaps angeboten.
„Josefa, mach bitte Kaffee und gib uns Gläser.“
„Nein, nicht die, ich meinte die böhmischen Kristallgläser“, sagte sie, als Josefa die billigen Gläser für den Alltag aus der Kredenz nahm. „Und bring dann bitte die Wäsche außer Haus.“
Gustav hielt es für unnötig, die alte Haushälterin wegzuschicken. Josefa genoss sein vollstes Vertrauen. Im Gegensatz zu vielen anderen Dienstboten klatschte sie nie über ihre Herrschaft.
Margarete fühlte sich sichtlich unwohl. Sie hatte auf der Bank Platz genommen. Freddy setzte sich zu ihr. Gegenüber saßen Vera und Leonie. Gustav hatte sich einen Stuhl geholt und den Vorsitz übernommen.
Er bemühte sich, Margaretes Blicke auf sich zu lenken, doch sie schaute die ganze Zeit ihre Tochter an, die in Giselas rosa Spitzennachthemd sehr lieb und unschuldig aussah.
Plötzlich fing Margarete von Leiden zu weinen an.
Tränen der Erleichterung, dachte er und überließ es Freddy, seine Geliebte zu beruhigen.
Es kam kein vernünftiges Gespräch zustande.
Gustav war bewusst, dass Leonie höchstwahrscheinlich keine Ahnung hatte, dass sowohl ihr Freund Napoleon als auch Angelina ermordet worden waren. Er hatte vorgehabt, ihr diese schreckliche Nachricht möglichst schonend
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