Der Tod kann warten: Kriminalroman (Sandner-Krimis) (German Edition)
Hauptkommissar im Schwergewicht. Knapp fünfundachtzig Kilo, ohne Schuhe. Minotaurus-Stil. Kompakt, den Kopf gesenkt, die Schultern nach vorn. Seit dem Vierzigsten hat sich die letzten sechs Jahre noch das eine oder andere Kilo zur Polsterung hinzugesellt, trotzdem wirkt der Mann nicht füllig. Aber selbst wenn das dunkelblonde Haar noch jedem Kamm trotzt und die Stirnfalten einstellig sind, so schnauft er doch wie der Marathonläufer auf den letzten Metern. Nur noch ein paar Minuten durchhalten – und Schluss für heute mit der Schinderei. Für diese Woche. Für diesen Monat.
»Herr Sandner!«
Der scharfe Schrei schlitzt den Hallenmief auf, wie ein Metzgermesser die Sau. Sandners Blick jagt für den Bruchteil einer Sekunde umher. Was zum Kuckuck ...?
Der Leberhaken kommt wie aus dem Nichts. Wamp! Unter den Ellenbogen gesetzt – Volltreffer. Chirurgische Präzision, wie der Fachmann kommentieren würde.
Augenblicklich weicht alle Luft aus seiner Lunge. Aus! Ihm wird schwarz vor Augen, die Knie knicken ein. Nach einer Vierteldrehung sinkt er hin. Gefällt wie eine morsche Eiche. Ein Yoga-Guru hätte Sandners Haltung vielleicht als Schlusssequenz der »tibetischen Niederwerfung« interpretiert – inklusive aufgesetztem Schädeldach. Dumpfer Schmerz verteilt sich großzügig. Jede Faser im Körper soll von der Gaudi etwas abbekommen.
Im Menscheninneren tummeln sich Dutzende Organe. Beim Sandner scheinen alle gemeinsam einen Tumult anzuzetteln. Als wollten sie heraus aus dem Häuflein Fleisch, Knochen und Elend, das auf dem Gummiboden kniet und japst.
Er speit den Mundschutz aus.
Die Stimme ist unverkennbar gewesen.
Jetzt kauert sich ihr Besitzer neben ihn – legt den Kopf schräg, um ihm in die Augen zu schauen, zwei Fingerbreit über der Matte.
Es ist der Kommissar Hartinger. Für den rothaarigen Jungspund der Münchner K11 kann es nur einen Grund geben, beim Faustkampf das Zünglein an der Waage zu spielen: ein Todesopfer in München. Mit dem Verkünden einer Gewalttat hätte der Kommissar es nicht so eilig haben müssen. Seinem Chef hat er einen schmerzhaften Vorgeschmack kredenzt. Der dankt auf Knien.
»Alles okay?«, vergewissert sich der Hartinger. Ausgestattet mit solch einer Beobachtungsgabe könntest du die nächste Leich am Tatort genauso gut fragen: »Geht’s wieder?«
»So war es recht, Miran«, schnarrt die Stimme des Boxprofis anerkennend dazwischen. »Ned rumkasperln, gleich drauf auf den Mann.«
Der besagte »Mann« sagt nichts. Jeder ausgekeuchte Buchstabe wäre Quälerei. Er dreht den Kopf zur Seite, schaut dem jungen Kollegen in die arglose Visage. Stirn und Augenbrauen formulieren eine Frage.
»Es pressiert«, versichert ihm der Bursch, »wirklich!«
»Wenn nicht ...«, grunzt der Sandner und versucht, sich hochzustemmen. Die Knie leisten Widerstand. Der unvollendete Satz schmiegt sich dem jungen Polizisten wie eine hungrige Python um den Kragen. Zeit für die Fütterung.
S tandesgemäß im grauen Everlast-Jogginganzug stakst der Sandner neben dem Kollegen zum Dienstwagen, als hätte er nicht bloß einen dornigen Stängel in der Rosette, sondern den kompletten Rosenstock. Duschen ist ausgefallen. Keine Zeit – und zu bewegungsintensiv. Dass es um Leben und Tod ginge, hat sein polizeilicher Begleiter dramatisiert.
Der Hauptkommissar hatte sich in der Boxhalle nicht auf Diskussionen einlassen wollen. Die Neugier allenthalben wäre zu gerne abgefüttert worden. Hier klopfte sich manch ein Journalist seinen Frust von der Seele – die Ohren auf Stand-by. Ärzte und Anwälte gab es epidemisch. Neben dem kopflastigen Studieren musst du die niederen Instinkte berücksichtigen. Das Tier in dir spüren, den Moschusochsen brüllen lassen. Mindestens Geländewagen solltest du fahren oder ein Trekkingbike in der Garage haben.
D ie Frage von Leben oder Tod ist in Sandners Gewerbe zweifelsfrei beantwortet worden – vom Gerichtsmediziner. Um das Sterben in all seinen Formaten ist es gegangen. Der Tod fordert dich zum Tanz auf, wenn du Ermittler bei der Münchner Mordkommission bist. Manchmal Tango, manchmal Capoeira, immer trampelt dir der Boandlkramer schmerzhaft auf die Zehen.
Der Miran hatte ihm zugeraunt, er solle bloß nicht mit »Ablenkung« als Ausrede daherkommen – die zwanzig Euro würde er trotzdem kassieren. Sein begleitendes Grinsen konnte den Leberschmerz locker übertrumpfen.
Die männliche Eitelkeit kennt kein Alter. Die strotzt vor Energie, wenn sie dich am Wickel hat.
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