Der Tod kommt in schwarz-lila
Witterung aufgenommen. Die Beute würde ihm kein zweites Mal entkommen. Das Wangerland war sein Jagdrevier. Er hatte die Aufgabe übernommen, das Gute zu bewahren und das Böse zu vertilgen. Die grässliche Maske hatte es ihm befohlen und er würde gehorchen.
Die Fratze war allgegenwärtig, sie erschien ihm bei Tage und mitten in der Nacht. Sie wanderte durch seine Träume und fügte ihm unerträgliche Schmerzen zu. Und wäre da nicht das andere, das kleine, runde und friedliche Gesicht, das blaue Gesicht, dann wäre er längst dem Wahnsinn verfallen. Doch es umgab ihn und hielt seine schützenden Hände über ihn. Das kleine, runde, blaue Gesicht.
Wenn mitten in der Nacht der Kampf in ihm tobte, dann erwachte er schweißgebadet. Noch war seine Aufgabe nicht erfüllt. Noch herrschte Dunkelheit in seiner Seele. Doch einmal schon hatte die Fratze gelächelt. Sie würde es wieder tun, er wusste es.
Er schaute in den Innenspiegel. Seine Gesichtszüge entspannten sich. In der Nähe seiner Beute fühlte er sich wohl. Hier atmete er die gleiche Luft, hier behielt er ihren Geruch in der Nase. Er griff zur Colabüchse auf dem Beifahrersitz. Der schale Geschmack befeuchtete seinen trockenen Gaumen. Im Auto war es stickig. Er hatte die Türen und Fenster geschlossen. Draußen schien die Sonne und erwärmte das Wageninnere. Er schwitzte, doch das Fenster musste geschlossen bleiben. Nichts sollte nach außen dringen. Kein Geräusch, keine Gedanken, noch nicht einmal sein Geruch. Er durfte die Beute nicht warnen. Das Wild wurde kurz vor dem Abschuss besonders sensibel.
Die Hitze im Wagen wurde langsam unerträglich, doch er war es gewohnt, Opfer zu bringen. Er schloss die Augen und versank in einem tiefen Traum.
Ein Boot fuhr über das ruhige Wasser. Er hörte das Lachen und Jauchzen. Dann kam der Kutter in Sicht. Er riss am Ruder, er riss und riss und riss, doch nichts passierte. Ein Schaudern lief über seinen Körper. Dann besuchte ihn das blaue Gesicht. Es war böse auf ihn. Er durfte nicht schlafen. Selbst wenn es noch zwei Stunden dauerte, bis seine Beute wieder auftauchte. Schlafen war falsch. Das Gesicht warnte ihn. Er erwachte.
Ein großer Lkw stand vor seinem Wagen. Ein Mann ruderte aufgeregt mit den Armen. Was wollte der Kerl bloß?
Er schaute sich um. Zweifellos meinte der Lkw-Fahrer ihn.
»Nun fahr schon weg, du Affe. Das ist eine Einfahrt. Verdammt, soll ich erst die Polizei holen?«
Er blickte sich um. Tatsächlich, er stand mit seinem Wagen vor einem Tor. Er hatte schon oft hier gestanden, noch nie hatte ihn jemand angesprochen. Nervös griff er zum Zündschlüssel. Der Wagen startete beim ersten Versuch. Er legte den Gang ein und brauste mit quietschenden Reifen davon. Er fühlte sich ertappt. Wie sollte er das dem blauen Gesicht nur erklären.
*
Es war kurz nach elf, als Trevisan zur Dienststelle kam. Monika Sander erwartete ihn ungeduldig. »Mensch, Martin, wo steckst du nur?«
»Ich war bei Mühlbauer. Die Leichen von der Helge wurden obduziert.«
»Wir haben Straßberg!«
Trevisan nickte gleichgültig.
Monika blickte ihn verwundert an. »Hast du nicht gehört? Straßberg ist verhaftet. Willst du denn nicht …«
»Straßberg hat mit den Morden nichts zu tun«, fiel ihr Trevisan ins Wort.
»Woher willst du das wissen?«, fragte sie ungläubig.
»Ich war von Anfang an skeptisch, wenn die Rede auf Straßberg kam. Weißt du, wir haben es uns zu einfach gemacht«, sagte Trevisan gedankenverloren. »Wir dachten nur in Schwarz und Weiß. Auf der einen Seite Straßberg und Mijboer, auf der anderen Seite Hansen, Willemsen und Gabler. Aber das Leben besteht aus vielen kleinen Graustufen. Mal heller, mal dunkler.«
Monika Sander sah ihn fragend an.
»Der Obduktionsbericht liegt auf meinem Schreibtisch. Lies ihn – die Zusammenfassung reicht, du weißt dann schon, was ich meine.«
Monika setzte sich hinter Trevisans Schreibtisch und schlug den Ordner auf. Trevisan blieb am Fenster stehen und schaute ihr zu.
Plötzlich wurde die Tür aufgestoßen und Beck trat ein. »Gratuliere zur Verhaftung. Das war saubere Arbeit. Oberstaatsanwalt Brenner ist bereits auf dem Weg hierher, er will sich über den Sachstand informieren. Die Chefin hat für heute Nachmittag eine Pressekonferenz anberaumt. Gute Arbeit, Trevisan!« Trevisan verzog das Gesicht.
»Was ist denn los?«, fragte Beck. »Der Fall hat Aufsehen erregt. Das Wangerland will endlich wieder zur Ruhe kommen. Die Menschen haben ein Recht darauf. Warum
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