Der Tod kommt in schwarz-lila
eine Dienstanweisung!«
Trevisans Gesicht lief rot an. »Es gibt für alles und jedes irgendein unnützes Papier«, murmelte er. Er blickte auf die Wanduhr. Es war kurz nach zehn.
»Trevisan, Ihr Ton gefällt mir nicht«, entgegnete sie.
Trevisan hatte nicht vor, sich weiter mit ihr zu unterhalten. »Hören Sie!«, sagte er. »Ich bin jetzt seit mehr als zwanzig Stunden auf den Beinen. Ich bin gestern Abend aus einem guten italienischen Restaurant geholt worden und direkt an den Tatort gefahren. Ich habe in die kalten Augen eines Ermordeten geschaut. Anschließend bin ich zu seiner Frau gefahren und habe ihr in das verweinte Gesicht gesehen. Für heute habe ich wirklich genug. Jetzt schreibe ich den Sofortbericht, dann gehe ich nach Hause und schlafe.«
»Wir sprechen uns morgen«, sagte sie aufgebracht. »Kommen Sie um acht in mein Büro!«
Das hatte Trevisan gerade noch gefehlt.
Kurz vor elf verließ er die Dienststelle. Kleinschmidt war noch immer nicht zurück.
*
Der Regen hatte aufgehört. Es war mild. Die Wolkendecke brach auf und die ersten Sonnenstrahlen bahnten sich ihren Weg durch das triste Grau. Er saß im Sand und blickte hinaus auf die sanften Wellen. Er genoss die frische Luft und schloss seine Augen. Alles war friedlich um ihn herum und auch tief in sich empfand er einen erlösenden Frieden. In dieser Nacht hatte er wie ein Kind geschlafen. Er hatte von einer unendlichen und beruhigenden Weite geträumt. Er war über eine grüne Wiese gelaufen und ein blauer Schleier hatte vor ihm im Wind getanzt. Dann war ihm das blaue Gesicht erschienen. Es hatte gelächelt. Engel tanzten im Reigen um einen Baum. Sie lachten und sie freuten sich. Überall glückliche Gesichter. Dann hatte ihn seine Mutter gerufen. Sie saß unter einem Baum auf einer Decke und streckte die Arme nach ihm aus. Er lief zu ihr und ließ sich in die geöffneten Arme fallen. Alles war so wunderschön.
Eine Schar kreischender Möwen riss ihn aus seinen Gedanken. Er erhob sich und schlenderte ein Stück den Weg entlang. Ein leichter Wind kam auf und strich ihm über das Gesicht. Heute war Sonntag, ein Feiertag. Das Schicksal hätte keinen besseren Tag wählen können. Er trug das Geschenk für seinen Vater in der Jackentasche. Langsam schlenderte er durch die Dünen. Er hatte Zeit. Zeit im Überfluss. Als er auf die Opferstätte zuging, fühlte er sich stark wie nie zuvor. Er griff in die Tasche und holte einen kleinen Karton hervor. Er kniete nieder und grub mit seinen Händen ein tiefes Loch in den sandigen Untergrund. Anschließend legte er den Karton hinein und faltete seine Hände.
»Vater, das ist mein Geschenk an dich. Ich widme es dir. Ich bitte dich, verzeih mir und höre mich an«, murmelte er leise. Dann schloss er erneut seine Augen und wartete. Es dauerte nicht lange, bis sich der Vater aus der Tiefe erhob. Sein Gesicht kämpfte sich durch eine Vielzahl von Farben und kam näher und näher, bis es schließlich harte und scharfe Konturen annahm. Er zitterte, als Vater zu ihm sprach. Er verstand die Worte nicht, obwohl er versuchte ihn zu verstehen. Es gelang ihm nicht. Es war, als stünde Vater hinter einer undurchdringlichen Glasscheibe. Die Angst kehrte zurück, doch diesmal wehrte er sich. Er kämpfte dagegen an. Er versuchte die Glasscheibe zu zerschlagen. Schließlich verschwammen die Konturen. Sie wurden einfach weggeblasen wie Rauch an einem stürmischen Tag. Doch bevor sich das Gesicht ganz verflüchtigt hatte, schien ein Lächeln über die strengen Züge zu huschen.
Er öffnete die Augen. Die Helligkeit schmerzte. Er schüttete das Loch zu und vergrub die kleine Schachtel. Er wandte sich um und ging davon, ohne sich noch einmal umzudrehen. Ein weiter Weg lag vor ihm. Die Fähre zum Festland ging in fünfzig Minuten.
*
Als Martin Trevisan nach Hause zurückkehrte, saß Angela zusammen mit Paula beim Mittagessen. Sie hatten auf ihn gewartet.
»Hallo, Martin, hast du Hunger?«, fragte Angela.
Trevisan schüttelte den Kopf. Er fühlte sich müde und ausgelaugt. Seine Augen waren gerötet, die Haut war weiß und durchscheinend. Schon alleine die Fahrt von der Dienststelle nach Sande war eine einzige Tortur gewesen.
Er wollte jetzt nur noch in sein Bett und schlafen.
22
Trevisan betrat kurz vor acht das Dienstgebäude. Bestimmt hatte Anke Schulte-Westerbeck schon ihre Messer gewetzt. Bevor er zu ihr in den vierten Stock ging, schaute er noch in seinem Büro vorbei. Vielleicht hatte ihm Kleinschmidt
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