Der Tod kommt nach Pemberley: Kriminalroman (German Edition)
bald beginnt, sehe ich kein Problem. Der junge Alveston ist allerdings in einer wesentlich günstigeren Lage. Offensichtlich fällt es ihm nicht schwer, seine angeblich so immens arbeitsaufwendige berufliche Tätigkeit in London stehen- und liegenzulassen, um die in Highmarten und Pemberley herrschende Gastfreundschaft auszukosten.«
Darcy schwieg. Nach einer Weile sagte der Colonel: »Was ist heute zu tun? Du wirst die Dienerschaft über den Vorfall unterrichten und auf Hardcastles Befragung vorbereiten müssen …«
»Ich sehe erst einmal nach, ob Elizabeth schon wach ist, was ich annehme. Dann werden wir beide gemeinsam mit dem Personal reden. Sollte Wickham das Bewusstsein wiedererlangt haben, wird Lydia mit ihm sprechen wollen, das ist ihr gutes Recht. Und dann müssen wir uns alle auf unsere eigene Befragung vorbereiten. Es empfiehlt sich, die Alibis parat zu haben, damit Hardcastle keine Zeit mit denjenigen verliert, die sich gestern Abend in Pemberley aufgehalten haben. Von dir wird er wissen wollen, wann du losgeritten und wann du zurückgekehrt bist.«
»Ich hoffe ihn zufriedenstellen zu können«, erwiderte der Colonel knapp.
»Wenn Mrs. Reynolds kommt, sag ihr bitte, dass ich bei Mrs. Darcy bin und das Frühstück wie immer im Speisezimmer einnehmen werde.« Mit diesen Worten verließ Darcy die Bibliothek. Die Nacht war in mehr als einer Hinsicht ungemütlich gewesen, und er war froh, dass sie hinter ihm lag.
3
J ane, die seit der Hochzeit keine einzige Nacht ohne ihren Mann gewesen war, verbrachte unruhige Stunden auf dem Sofa neben Lydias Bett. Zwischen den kurzen Phasen, in denen sie döste, verspürte sie immer wieder den Drang, nachzusehen, ob ihre Schwester schlief. Dr. McFees Beruhigungsmittel hatte gewirkt, Lydia schlummerte tief und fest, doch um halb sechs wachte sie auf und verlangte, sofort zu ihrem Mann gebracht zu werden. Jane empfand diese Forderung als natürlich und verständlich, hielt es aber für besser, sanft darauf hinzuweisen, dass Wickham sicherlich noch nicht wach sei. Da Lydia nicht bereit war zu warten, half Jane ihr beim Ankleiden, einer Prozedur, die sich in die Länge zog, weil Lydia unbedingt gut aussehen wollte. Eine geraume Zeit lang wühlte sie in ihrer Truhe, hielt verschiedene Kleider an sich hoch, um Janes Meinung dazu in Erfahrung zu bringen, warf andere sofort zu einem Haufen auf den Boden und zupfte an ihrer Frisur herum. Jane überlegte, ob sie Bingley wecken solle, ging hinaus und horchte an der Tür des Nebenzimmers, doch als kein Laut zu vernehmen war, beschloss sie, ihn nicht aus dem Schlaf zu reißen. Die Schwester zu begleiten, wenn diese ihren Mann nach den durchlittenen Qualen zum ersten Mal wiedersah, war nun einmal Aufgabe einer Frau, und sie wollte Bingleys unerschöpfliche Gutmütigkeit nicht für ihre eigenen Zwecke ausnutzen. Als Lydia mit ihrer Erscheinung endlich zufrieden war, nahmen die beiden Schwestern ihre brennenden Kerzen und eilten durch dunkle Gänge zu dem Raum, in dem man Wickham gefangen hielt.
Brownrigg öffnete die Tür. Als sie eintraten, schreckte der auf seinem Stuhl dösende Mason auf. Und dann brach das Chaos aus. Lydia lief zum Bett, in dem Wickham noch immer schlief, stürzte sich auf ihn, als wäre er tot, und begann bitterlich zu weinen. Erst nach mehreren Minuten gelang es Jane, sie sanft von ihm zu lösen und ihr flüsternd klarzumachen, dass sie besser später wiederkomme, wenn ihr Mann wach und ansprechbar sei. Lydia brach ein letztes Mal in Tränen aus und ließ sich in ihr Zimmer zurückbringen, wo Jane sie endlich beruhigen und nach einem frühen Frühstück klingeln konnte, das kurz darauf nicht vom üblichen Diener, sondern von Mrs. Reynolds gebracht wurde. Als Lydia mit sichtlicher Genugtuung die ausgewählten Köstlichkeiten betrachtete, merkte sie, dass die Trauer sie hungrig gemacht hatte, und aß mit großem Appetit. Es überraschte Jane, dass ihre Schwester keinen Gedanken an Denny zu verschwenden schien, der ihr von allen gemeinsam mit Wickham in Meryton stationierten Offizieren immer der liebste gewesen war; doch seinen gewaltsamen Tod, von dem Jane ihr so behutsam wie möglich berichtet hatte, erfasste Lydia offenbar gar nicht.
Nach dem Frühstück schwankte Lydias Gemütszustand zwischen Weinkrämpfen, Selbstmitleid, Angst vor ihrer eigenen Zukunft und der ihres geliebten Wickham, sowie Groll gegen Elizabeth. Wären sie und ihr Mann zum Ball eingeladen worden, wie es sich gehört hätte, dann
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