Der Tod kommt nach Pemberley: Kriminalroman (German Edition)
was sie ihrer geliebten Schwester erweisen konnte.
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E lizabeth schlief unruhig. Kurze Phasen wohltuenden Schlummers wurden von Alpträumen unterbrochen, aus denen sie jäh erwachte. Dann wurde ihr wieder das wirkliche Grauen bewusst, das wie ein Sargtuch auf Pemberley lag. Instinktiv streckte sie die Hand nach ihrem Mann aus, bis ihr einfiel, dass Darcy die Nacht mit Colonel Fitzwilliam in der Bibliothek verbrachte. Den Drang, das Bett zu verlassen und im Zimmer umherzugehen, konnte sie kaum unterdrücken, doch sie versuchte in den Schlaf zurückzufinden. Das sonst so kühle, angenehme Leintuch hatte sich zu einem einengenden Seil verwickelt, und die mit weichsten Flaumfedern gefüllten Kissen erschienen ihr so hart und heiß, dass sie sie ständig ausschütteln und umdrehen musste, um wieder bequem darauf liegen zu können.
Sie dachte an Darcy und den Colonel. Wie absurd, dass sie unter so beschwerlichen Umständen schliefen oder zu schlafen versuchten, obendrein nach einem so grässlichen Tag! Und warum hatte Colonel Fitzwilliam das Ganze überhaupt vorgeschlagen? Denn dass es seine Idee gewesen war, wusste sie. Wollte er Darcy etwas Wichtiges mitteilen und deshalb ein paar Stunden lang ungestört mit ihm allein sein? Würde er ihm eine Erklärung für den geheimnisvollen nächtlichen Ausritt geben, oder würde es in der diskreten Unterredung um Georgiana gehen? Plötzlich kam ihr der Gedanke, dass er vielleicht ein vertrauliches Gespräch zwischen ihr und Darcy hatte verhindern wollen. Seit der Suchtrupp mit Dennys Leiche zurückgekehrt war, hatten sie und ihr Mann kaum ein paar Minuten zu zweit gehabt. Sie tat den Gedanken als lächerlich ab und versuchte, wieder einzuschlafen.
Sie fühlte sich erschöpft, doch tausend Gedanken wirbelten ihr durch den Kopf. Sie überlegte, was alles zu tun war, ehe Sir Selwyn Hardcastle eintraf. Fünfzig Familien musste mitgeteilt werden, dass der Ball abgesagt war; es hätte keinen Sinn gehabt, die Briefe schon am Abend abzugeben, als die meisten Empfänger sicherlich schon im Bett lagen. Vielleicht hätte sie noch länger aufbleiben und mit dem Schreiben wenigstens beginnen sollen. Als Allererstes galt es jedoch eine weit dringlichere Pflicht zu erfüllen. Georgiana hatte sich früh schlafen gelegt und wusste nichts von der nächtlichen Tragödie. Seit Wickham vor sieben Jahren versucht hatte, sie zu entführen, war er kein einziges Mal in Pemberley empfangen oder auch nur sein Name genannt worden. Man hatte den Vorfall als etwas nie Geschehenes behandelt. Dennys Tod würde den gegenwärtigen Schmerz nun vergrößern und das vergangene Unglück wiederaufflammen lassen. Empfand Georgiana noch etwas für Wickham? Wie würde ein Wiedersehen jetzt, mit zwei Verehrern im Haus und umgeben von Argwohn und Grauen, für sie sein? Gleich nach dem Frühstück der Dienerschaft würden Elizabeth und Darcy allen Mitgliedern des Haushalts von der Tragödie berichten, doch vor den Mädchen, die ab fünf Uhr morgens durch die Zimmer gingen, putzten, aufräumten und Feuer machten, konnten sie die Anwesenheit von Lydia und Wickham unmöglich verbergen. Georgiana wachte immer sehr früh auf; Schlag sieben würde ihre Kammerzofe den Vorhang zurückziehen und den Morgentee servieren. Sie, Elizabeth, musste unbedingt mit Georgiana reden, ehe irgendjemand unachtsam mit der Nachricht herausplatzte.
Sie blickte zu der kleinen goldenen Uhr auf dem Nachttisch hinüber. Es war Viertel nach sechs. Jetzt, da sie keinesfalls einnicken durfte, fühlte sie den Schlaf doch kommen. Weil sie um sieben Uhr hellwach sein musste, zündete sie zehn Minuten zuvor ihre Kerze an und schritt leise durch den Gang zu Georgianas Zimmer. Elizabeth wurde stets früh von den Geräuschen des zum Leben erwachenden Hauses geweckt, begrüßte jeden Tag in der zuversichtlichen Erwartung, dass es ein glücklicher, mit den Pflichten und Freuden einer friedlichen Gemeinschaft angefüllter sein würde. Leise, ferne Geräusche, dem Kratzen von Mäusen gleich, drangen an ihr Ohr – die Hausmädchen hatten ihr Tagwerk begonnen. In diesem Gang würde sie wahrscheinlich keiner Bediensteten begegnen, und wenn, so würde diese lächeln und sich an die Wand drücken, um ihr den Weg frei zu machen.
Leise klopfte sie an Georgianas Tür und trat ein. Die junge Frau stand schon im Morgenrock am Fenster und sah ins dunkle Nichts hinaus. Nur Sekunden später erschien ihre Zofe. Elizabeth nahm ihr das Tablett ab und stellte es auf den
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