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Der Tod kommt wie gerufen

Der Tod kommt wie gerufen

Titel: Der Tod kommt wie gerufen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathy Reichs
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zuwandte. Sie trug einen braunen, langärmeligen Pullover, der ein Stückchen Bauch frei ließ. Eine Hand hatte sie an den Baum gedrückt, die andere hing mit dem Daumen in einer Gürtelschlaufe ihrer ausgewaschenen Jeans.
    Die Haare des Mädchens waren in der Mitte gescheitelt, nach hinten gekämmt und hinter den Ohren zu Schwänzchen zusammengefasst. Sie waren schwarz. Die Augen hatten die Farbe dunkler Schokolade, die Haut die einer Muskatnuss. Das Mädchen sah aus wie siebzehn.
    Ich spürte, wie mir die Brust eng wurde.
    Ein schwarzes Teenagermädchen.
    Mein Blick sprang zum Rollwagen. O Gott, konnte das ihr Schädel sein? Falls ja, wie kam er dann in diesen Keller? War dieses Mädchen ermordet worden?
    Ich schaute das Porträt noch einmal an.
    Der Kopf des Mädchens war leicht gesenkt, die Schultern kaum merklich gehoben. Ihre Mundwinkel bogen sich zu einem neckischen Grinsen nach oben. Sie wirkte glücklich, voller Selbstvertrauen und Zukunftsfreude. Warum lag ihr Foto vergraben in einem Kessel?
    Konnte Arlo Welton recht haben? Hatte er einen Altar entdeckt, der für satanistische Rituale benutzt wurde? Für Menschenopfer? Ich hatte Artikel darüber gelesen, wusste, dass solche Abscheulichkeiten, wenn auch sehr selten, tatsächlich vorkamen.

    Das Telefon klingelte und ersparte mir weiteres Nachdenken über die grässlichen Möglichkeiten.
    »Na, waren wir heute das frühe Vögelchen?« Mrs. Flowers Stimme war, wie gewohnt, nicht die allervergnügteste.
    »Ich habe eine Menge zu erledigen.«
    »Die Medien drehen durch wegen dieser Kellergeschichte.«
    »Ja.«
    »Das Telefon klingelt ununterbrochen. Und mir klingen schon die Ohren.«
    Ich schaute auf die Wanduhr. 12 Uhr 40.
    »Die beruhigen sich schon wieder, sobald sie was Neues in die Finger kriegen. Ich wollte Sie nur vorwarnen. Sie kriegen Besuch von einem Detective.«
    »Slidell?«
    »Ja, Ma’am. Er hat einen Partner dabei.«
    »Warnung angekommen.«
    Ich legte eben auf, als die Tür des Autopsiesaals aufschwang. Slidell trat ein, gefolgt von einem klapprigen Skelett mit einer italienischen Lederaktentasche unter dem Arm.
    Skinny Slidell und Eddie Rinaldi sind Partner seit den Achtzigern, was alle wundert, da die beiden die absoluten Gegensätze sind.
    Rinaldi ist eins neunzig groß und bringt weniger als achtzig Kilo auf die Waage. Slidell ist eins fünfundsiebzig und wiegt beträchtlich mehr, das meiste davon in der Gegend, wo seine Taille sein sollte. Rinaldi hat ein scharf geschnittenes Gesicht. Slidells ist fleischig und schwammig, mit Tränensäcken unter den Augen so groß wie Tortillas.
    Warum dann der Spitzname Skinny, der Dürre? Polizistenhumor.
    Aber die Unterschiede sind nicht nur äußerlich. Slidell ist der Schlamper. Rinaldi der Penible. Slidell stopft pausenlos Junk-Food in sich hinein. Rinaldi isst Tofu. Slidell ist Elvis, Sam Cooke und die Coasters. Rinaldi ist Mozart, Vivaldi und Wagner. Slidells
Kleidung kommt vom Wühltisch. Rinaldi trägt Designeranzüge oder maßgeschneiderte.
    Aber irgendwie kommen die beiden gut miteinander aus. Sachen gibt’s!
    Slidell nahm seine nachgemachten Ray-Bans ab und hängte sie an einem Bügel in die Brusttasche seines Sakkos. Heute war es aus Polyester und zeigte ein Karomuster, das wahrscheinlich nach einem Golfkurs irgendwo in Schottland benannt war.
    »Wie läuft’s, Doc?« Slidell sah sich selbst als Charlottes Dirty Harry. Hollywood-Bullenslang gehörte dazu.
    »Interessanter Vormittag.« Ich nickte Rinaldi zu. »Detective.« Rinaldi winkte nur knapp, seine ganze Aufmerksamkeit gehörte den Kesseln und den Schädeln.
    So war Rinaldi. Immer sehr konzentriert. Keine Witze, keine saloppen Sprüche. Kein Jammern und kein Prahlen. Kein Mitteilungsbedürfnis, was persönliche Probleme oder Triumphe anging. Im Dienst war er immer nur höflich, reserviert und unerschütterlich.
    Außer Dienst? Darüber wusste man kaum etwas. Geboren in Virginia, hatte Rinaldi kurz das College besucht und war irgendwann in den Siebzigern nach Charlotte gekommen. Er hatte geheiratet, seine Frau war aber schon kurz danach an Krebs gestorben. Ich hatte von einem Kind gehört, aber den Mann selbst hatte ich noch nie von einem Sohn oder einer Tochter reden hören. Rinaldi lebte allein in einem kleinen Backsteinhaus in einem ruhigen, gepflegten Viertel mit dem Namen Beverly Woods.
    Abgesehen von seiner Größe, seinem erlesenen Musikgeschmack und seiner Neigung zu teuren Klamotten, hatte Rinaldi keine körperlichen Merkmale

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