Der Tod kommt wie gerufen
mir heraus, bevor ich Zeit hatte, darüber nachzudenken.
Einen Augenblick lang herrschte Schweigen. Dann hob Rinaldi einen langen, knochigen Finger.
»Junge aus Brownville, Texas. Verschwand neunundachtzig in Matamoros, Mexiko.«
»Kilroy wurde anal vergewaltigt, gequält und dann getötet von Adolfo de Jesus Constanzo und seinen Anhängern. Ermittler fanden sein Gehirn in einem Kessel.«
Slidell senkte die Augen. »Was zum …?«
»Kilroy wurden die Organe für rituelle Zwecke entnommen.«
»Und Sie wollen sagen, dass wir es hier mit so was zu tun haben? «
Schon jetzt bedauerte ich, dass ich Slidells Fantasie mit dem Kilroy-Fall angeregt hatte.
»Ich muss erst mit den Kesseln weitermachen. Und dann hören, was das Forensiklabor zu sagen hat.«
Slidell nahm das Foto zur Hand und gab es seinem Partner.
»Nach Kleidung und Frisur zu urteilen sieht das Foto nicht sehr alt aus«, sagte Rinaldi. »Wir könnten das durch die Medien jagen, mal sehen, ob irgendjemand das Mädchen kennt.«
»Damit sollten wir noch warten«, sagte Slidell. »Wenn wir das Foto von jedem Kind, das wir nicht finden können, im Fernsehen bringen, dann schaltet das Publikum irgendwann ab.«
»Stimmt. Und wir wissen ja nicht einmal, ob sie vermisst ist.«
»Dürfte in dieser Stadt nicht allzu viele Studios geben, die Teenagerfotos machen.« Slidell steckte das Foto ein. »Fangen wir doch mit denen an.«
Ich nickte. »Kommt aber vielleicht gar nicht aus dieser Stadt. Was haben Sie über das Greenleaf-Anwesen herausbekommen?«
Rinaldi zog einen kleinen, ledergebundenen Notizblock aus der Innentasche seines Sakkos, das einen deutlichen Kontrast zu dem seines Partners bildete. Marineblauer Zweireiher, sehr elegant.
Ein manikürter Finger blätterte einige Seiten um.
»Das Anwesen wechselte kaum den Besitzer, nachdem es in den Nachkriegsjahren von einer Familie namens Horne erworben wurde, und wenn, dann nur unter Verwandten. Wir reden hier übrigens vom Zweiten Weltkrieg.« Rinaldi schaute von seinen Notizen hoch. »Wir können auch noch ältere Unterlagen einsehen, falls die Umstände das erfordern.«
Ich nickte.
»Roscoe Washington Horne besaß das Haus von 1947 bis 1972; Lydia Louise Tillman Horne bis 1994; Wanda Belle Sarasota Horne bis zu ihrem Tod vor achtzehn Monaten.«
»Der altehrwürdige Familiensitz«, schnaubte Slidell.
Rinaldi las weiter aus seinen Notizen vor.
»Nach Wandas Tod ging das Anwesen an einen Neffen, Kenneth Alois Roseboro.«
»Wohnte Roseboro in dem Haus?«
»Das muss ich erst noch herausfinden. Roseboro verkaufte das Haus an Polly und Ross Whitner. Beide kommen ursprünglich aus New York. Sie ist Lehrerin. Er ist Kundenberater bei der Bank of America. Die Überschreibung fand am zwanzigsten September dieses Jahres statt. Die Whitners wohnen augenblicklich in einer Mietwohnung an der Scaleybark. Offensichtlich sind umfangreiche Renovierungen des Greenleaf-Hauses geplant.« Rinaldi klappte den Block zu und steckte ihn weg.
Einen Augenblick herrschte Schweigen. Slidell durchbrach es.
»Wir haben es in die Zeitungen geschafft.«
»Ich habe den Artikel gesehen. Ist Stallings eine Festangestellte beim Observer?«
»Keine, die wir kennen«, sagte Rinaldi.
Slidells falsche Ray-Bans kamen wieder auf die Nase.
»Hätte diese Tussi gleich erschießen sollen.«
Mittagessen bestand aus einem Müsliriegel, den ich mit einem Diet Coke hinunter spülte. Nach dem Essen fand ich Larabee im Hauptautopsiesaal, wo er eben die Leiche aus dem Müllcontainer aufschnitt.
Ich berichtete ihm von den Fortschritten bei meiner Arbeit und von meinem Gespräch mit Slidell und Rinaldi. Die Ellbogen angewinkelt, die blutigen Hände vom Körper abgestreckt, hörte er zu.
Ich beschrieb das Gehirn. Er versprach, es sich später einmal anzuschauen. Um zwei war ich wieder bei meinen Kesseln.
Ich siebte bereits zwanzig Minuten, als mein Handy klingelte. Die Anruferkennung zeigte Katys Nummer.
Ich zog einen Handschuh aus und schaltete ein.
»Hi, meine Süße.«
»Wo bist du?«
»Im Institut des ME.«
»Was?«
Ich zog die Maske herunter und wiederholte, was ich gesagt hatte.
»Geht’s da wirklich um Satanisten?«
»Du hast die Zeitung gelesen.«
»Nettes Foto.«
»Habe ich schon mal gehört.«
»Ich würde sagen, das ist ein Studentenscherz. Die Stadt ist doch viel zu spießig für Teufelsanbetung. Satanismus heißt Exzentrik. Exotik. Nonkonformität. Klingt das für dich wie das langweilige, alte
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