Der Tod kommt wie gerufen
das neue Max-Mara-Shirt
und nickte anerkennend. »O ja. Im Saubermachen ist sie richtig gut.« Das »richtig« war doppelt so lang wie es hätte sein sollen.
»Den Spruch hast du heute schon mal benutzt.«
»Die Erfahrung hat mich den Wert der Bescheidung gelehrt. «
»Bescheidung.«
»Wenn ich ungezügelt meinen Witz sprühen lasse, überrennt mich die Weiblichkeit dieser Stadt. An einem Abend gelangen mir mal drei flotte Sprüche. Die Polizei musste Barrikaden aufstellen. «
»Wie lästig für die Nachbarn.«
»Ich bekam einen Beschwerdebrief vom Hausbesitzerverband. «
»Gehen oder fahren?«
Ich schaute ihn fragend an.
»Das Haus hat vier Etagen.«
»Es gibt einen Aufzug«, vermutete ich.
Charlie lächelte bescheiden.
»Müssen wir bis ganz nach oben?«
»Die Küche ist im ersten Stock.«
»Das schaff ich per pedes.«
Charlie ging voran und erklärte mir die Anlage des Hauses. Büro und Garage im Erdgeschoss, Wohn- und Esszimmer, Küche und privates Arbeitszimmer im ersten, Schlafzimmer im zweiten, Partyraum und Dachterrasse im dritten Stock.
Die Innenausstattung war rustikal modern, gehalten in Braun-und Creme-Tönen. Wahrscheinlich Umbra und Ecru im Designer-Sprech.
Aber die Einrichtung zeigte auch eine persönliche Note. Gemälde, die meisten modern, aber auch ein paar traditionelle und wahrscheinlich alte. Skulpturen in Holz und Metall. Eine afrikanische Schnitzerei. Ein Maske, die ich für indonesisch hielt.
Während wir die Treppen hochstiegen, schaute ich mir die
Fotos an. Familienzusammenkünfte, manche Gesichter wie verschiedene Kaffeearten, andere eher in Richtung Mokka-Olive.
Gestellte Aufnahmen eines großen, schwarzen Mannes im Trikot der Celtics. Charlie »CC« Hunt in seiner NBA-Zeit.
Gerahmte Schnappschüsse. Ein Skiausflug. Ein Nachmittag am Strand. Eine Segeltour. Auf den meisten stand Charlie neben einer gertenschlanken Frau mit schwarzen Haaren und zimtfarbener Haut. Die Frau, die am 11. September ums Leben gekommen war? Die Antwort fand ich auf einem Hochzeitsfoto auf dem Kaminsims im Wohnzimmer.
Ich schaute weg, weil mich der Anblick traurig machte. Oder verlegen? Sein Blick verschleierte sich, aber er sagte nichts.
Die Küche bestand aus Edelstahl und Massivholz. Charlies kulinarische Bemühungen lagen auf einer Arbeitsplatte aus Granit.
Er deutete auf die Platten. »In Rosmarin eingelegte Lammkoteletts. Marinierte Zucchini. Gemischter Salat à la Hunt.«
»Beeindruckend.« Mein Blick wanderte zum Tisch. Er war für zwei gedeckt.
Charlie sah, dass ich es sah.
»Leider hatte Katy schon etwas vor.«
»Aha.« Wahrscheinlich die Haare waschen.
»Wein? Martini?«
Offensichtlich hatte meine Tochter nichts von meiner lebhaften Vergangenheit erzählt.
»Perrier, bitte.«
»Zitrone?«
»Super.«
»Kein Alkohol?« Aus dem geöffneten Kühlschrank heraus gesprochen.
»Hm.«
Obwohl Charlie wusste, dass ich mir in der Highschool einige Biere hinter die Binde gegossen hatte, fragte er mich nicht nach meinem veränderten Verhältnis zum Alkohol. Das gefiel mir.
»Kommst du mit auf die Terrasse? Der Ausblick ist nicht schlecht.«
Ich war noch nie ein Herbst-Mensch. Ich finde die Jahreszeit bittersüß, die letzten Atemzüge der Natur, bevor die Uhren zurückgestellt werden und das Leben sich für den langen, dunklen Winter einmummelt.
Vergessen Sie Johnny Mercers Autumn Leaves. Meiner Ansicht nach ist das französische Original viel präziser. Les Feuilles Mortes. Die toten Blätter.
Vielleicht liegt es an meiner Arbeit, der täglichen Beschäftigung mit dem Tod. Wer weiß? Mir sind Krokusse und Narzissen und Küken lieber.
Dennoch war Charlies »nicht schlecht« ein Understatement. Der Abend war so funkelnd, dass er fast lebendig wirkte, so wie man Abende nur erlebt, wenn die sommerlichen Pollen zur Ruhe gekommen sind und das Herbstlaub seinen Farbenrausch erst noch vorbereitet. Unzählige Sterne sprenkelten den Himmel. Die erleuchteten Türme und Wolkenkratzer machten die Innenstadt zu einer Disney-Kreation. Der Vergnügungspark des großen Geldes.
Während Charlie grillte, unterhielten wir uns und probierten dabei mehrere Routen aus. Natürlich führte die erste in Richtung Erinnerungen.
Partys im »The Rock«. Springbreak in Myrtle Beach. Wir lachten am meisten über unseren selbst gebastelten Umzugswagen fürs Schülerfest damals, ein Wal aus Draht und Zellstoff, dem ein Kleeblatt samt Stiel aus dem Maul ragte. College-Wal isst Glückssache. Damals hielten wir
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