Der Tod kommt wie gerufen
Deckels zeigte sich ein längerer Riss. Jemand hatte kleine Holzstreifen darübergenagelt.
»Mr. Redmon weigerte sich, einen neuen Sarg zu kaufen. Wir haben versucht, den Deckel zu reparieren.«
Burkhead wandte sich an mich.
»Werden Sie die Verstorbene hier drinnen untersuchen?«
»Auf Mr. Redmons Wunsch hin. Aber es kann sein, dass ich Proben für eine abschließende Überprüfung in mein Institut mitnehmen muss.«
»Wie Sie wollen. Leider ist der Sargschlüssel im Lauf der Jahre unauffindbar geworden.«
Burkhead trat nun an ein Ende des Simses und bedeutete Slidell, sich ans andere Ende zu stellen.
»Vorsichtig, Detective. Die Überreste haben kein allzu großes Gewicht mehr.«
Zusammen hoben die Männer die Sperrholzplatte vom Sims und stellten sie auf den Boden. Der nun freistehende Sarg füllte die kleine Kammer so aus, dass wir drei gezwungen waren, uns an die Wände zu drücken.
Obwohl ich kaum Platz hatte, mich zu bewegen, öffnete ich meinen Rucksack und zog einen batteriebetriebenen Scheinwerfer, ein Vergrößerungsglas, ein Fallformular, einen Stift und einen Schraubenzieher heraus. Burkhead schaute mir aus dem Schatten der östlichen Ecke zu. Slidell stand an der Tür und hielt sich sein Taschentuch vor den Mund.
Ich setzte mir einen Mundschutz auf, kauerte mich seitlich hin und fing an zu stemmen.
Die Nägel lösten sich problemlos.
21
Südstaatler halten keine Totenwache. Wir versammeln uns zu einer letzten Betrachtung. Mir leuchtet das ein. Parfümiert, ohne Blut, aber mit Wachs in den Gefäßen wird eine Leiche sich nicht wieder aufsetzen und strecken. Aber sie ist hergerichtet für eine letzte Inaugenscheinnahme.
Um diesen letzten Blick vor der Ewigkeit zu erleichtern, sind die Sargdeckel zweigeteilt wie Pferdestalltüren. Finney und sein Mädchen hatten sich diese Besonderheit zunutze gemacht und nur die obere Hälfte aufgestemmt.
Für ein nächtliches Schnäppchen war das ganz praktisch. Aber ich brauchte Zugang zum gesamten Skelett.
Aufgrund des Vandalismus und des natürlichen Verfalls war Susans Sargdeckel auf der ganzen Länge eingesackt. Die Erfahrung sagte mir, dass ich ihn Stück für Stück würde abnehmen müssen.
Nachdem ich Burkheads Reparaturstreifen gelöst hatte, kratzte ich mit dem Schraubenzieher den Rost weg, der die Deckelkanten versiegelte. Dann machte ich mich, wie Finney, mit der Brechstange ans Werk.
Burkhead und Slidell halfen mir und legten verfaulendes Holz und rostiges Metall auf den wenigen freien Stellen auf dem Boden ab. Ein Geruch stieg auf, eine Mischung aus Schimmel und Fäulnis. Ich spürte ein Kribbeln auf der Haut, meine Nackenhaare stellten sich auf.
Eine Stunde später war der Sarg offen.
Die Überreste lagen unter einem Häuflein samtener Sargauskleidung, die über und über mit einer weißen, flechtenartigen Substanz bedeckt war.
Nachdem ich Fotos geschossen hatte, zog ich Handschuhe an, weil mir Hewletts Aussage, aus dem Sarg sei nichts entfernt worden außer dem Schädel, nicht ganz geheuer war. Wenn das stimmte, woher stammten dann die Oberschenkelknochen, die ich in dem Kessel gefunden hatte? Ich behielt diese Überlegungen für mich.
Es dauerte nur Minuten, die Samtauskleidung, die den Oberkörper bedeckte, zu entwirren und zu entfernen. Slidell und Burkhead schauten zu und machten hin und wieder eine Bemerkung.
Susan Redmon war, wie es aussah, in einem blauen Seidenkleid begraben worden. Das ausgebleichte Tuch umhüllte ihren Brustkorb und die Armknochen wie vertrocknetes Papier. Haare klebten an dem Kissen, auf dem ihr Kopf geruht hatte, die Augenklappe eines Bestatters und drei Schneidezähne lagen zwischen den langen, schwarzen Strähnen.
So weit zum Kissen. Kein Kopf. Kein Unterkiefer.
Ich schaute Slidell an. Er zeigte mir den hochgereckten Daumen.
Ich steckte erst eine Haarprobe, dann die drei Schneidezähne in Plastiktüten.
»Das sind Zähne?«, fragte Slidell.
Ich nickte.
»Haben Sie zahnärztliche Unterlagen?«, fragte Burkhead.
»Nein. Aber ich kann versuchen, sie in die entsprechenden Zahnhöhlen einzupassen und sie mit den Backenzähnen zu vergleichen, die in Unterkiefer und Schädel noch vorhanden sind.«
Danach setzte ich meine Untersuchung fort.
Susans Kleid war am Oberteil aufgerissen. Durch den Riss konnte ich einen eingesunkenen Brustkorb erkennen, der auf den Brustwirbeln lag. Drei Halswirbel lagen verstreut auf dem Spitzenkragen des Kleids, vier andere zwischen der fleckigen Sargauskleidung und dem
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